Die aktuelle Kritik

Dietmar Dath & F. Wiesel, Heidelberg: "Restworld"

Von Elisabeth Maier

Die Einsamkeit der Roboter: Künstliche Intelligenz übernimmt die Macht in „Restworld“ von Dietmar Dath und F. Wiesel. Die Uraufführung am Theater und Orchester Heidelberg ist eine gelungene Synthese zwischen Schauspielkunst, Figurentheater und Videokunst.

Der Roboter will nicht schießen. Einen Menschen zu töten, das macht der Maschine Angst. Die Puppe zaudert, als ihr der Spieler die Waffe in die Hand drückt. Dann aber schießt der Androide doch. Denn in seinem Theaterstück „Restworld“ dreht Dietmar Dath den Spieß um. Mit dem Figurentheaterkollektiv F. Wiesel untersucht der Science-Fiction-Autor und Filmkritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Zwinger des Theaters Heidelberg die Macht der Maschinen. Menschen aus Fleisch und Blut gibt es nicht mehr. Sie sind ausgerottet, Opfer der selbst verschuldeten Klimakatastrophe. Ziellos irren die Roboter umher. Wer soll sie nun programmieren? 

In diesem dystopischen Setting verortet der Science-Fiction-Schriftsteller das Wild-West-Projekt, in dem er künstliche Intelligenz zum Sprechen bringt: „Der Mensch hat nicht den Roboter gemacht. Der Roboter hat den Menschen gemacht. Ohne Werkzeug ist der Mensch ein Tier. Erst wenn er ein Werkzeug hat, wird er ein Mensch.“ In diesem Spannungsfeld bewegen sich die Akteure in der Uraufführung des faszinierenden Gesamtkunstwerks, das Jost von Harleßem und Hanke Wilsmann mit Mitgliedern des Heidelberger Schauspielensembles und mit der Figurenspielerin Cali Kobel entwickelt haben. Sie erforschen die Schnittstelle zwischen Robotik, Performance und Objekttheater. 

Dabei spielen sie mit Erinnerungen des Publikums. Die Bühne ist ein Fort mit Plastik-Cowboyfiguren, wie man sie aus Kinderzimmern kennt. Diese Helden des Wilden Westens fängt die Kamera in Großaufnahmen ein. Virtuos spielt Jost von Harleßems Live-Video mit Assoziationen des Publikums. Eine historische Aufnahme von Wounded Knee im Jahr 1890 erinnert an das Massaker der US-Kavallerie gegen Hunderte wehrlose Sioux. Spätestens da ist jede Western-Romantik verpufft.

Hendrik Richter, Cali Kobel, Leon Maria Spiegelberg

Statt auf Gleichheit zu setzen – in Dietmar Daths politischem Weltbild die erstrebenswerte Vision – werden Menschen zu Mördern. Naomi Keans Kostüme zitieren Cowboy-Träume. Die Schauspieler Hendrik Richter und Leon Maria Spiegelberg liefern sich nicht nur gnadenlose Duelle. Klug zertrümmern sie jene Mythen, die man aus Wild-West-Filmen kennt. Gemeinsam mit Sandra Bezler verkörpern sie die Erinnerung an eine vergangene Wirklichkeit: „Wir sind Revolverhelden. Das ist das Design.“ In dem Multimedia-Projekt von F. Wiesel übernehmen die Maschinen die Macht. Für diesen Prozess finden Dath und das Kollektiv starke ästhetische Bilder. 

„Restworld“ spielt in einem Themenpark. Eigentlich sind die Roboter darauf programmiert, den Menschen jeden Wunsch zu erfüllen – auch wenn es da um brutale Gewaltfantasien geht. Doch als die Maschinen erkennen, dass die Menschen ausgerottet sind, gerät ihre Welt aus den Fugen. Daths Text basiert auf Motiven des Films „Westworld“ des amerikanischen Autors und Regisseurs Michael Crichton; 2016 wurde aus dem Science-Fiction-Projekt eine Fernsehserie. Dietmar Dath denkt die Handlung auf der Basis politischer Theorien weiter, lässt sie in eine kritische Gesellschaftsanalyse münden: Wie kann die Koexistenz von Menschen und Maschinen gelingen? Aus dem Text spricht die Sehnsucht nach neuen Gesellschaftsmodellen.

Sandra Bezler, Cali Kobel, Hendrik Richter

Den beschränkten Horizont der Maschinen legt die Figurenspielerin Cali Kobel offen. In einer Ecke der Bühne erweckt sie die Puppe, die später zum Roboter werden soll, zum Leben. Mit einem Schraubenzieher wird das mechanisch betriebene Wild-West-Pferd in Einzelteile zerlegt. Auch das zeigt die Kamera. Den Arbeitsprozess zu dokumentieren, ist Teil des Konzepts von F. Wiesel. In wechselnden Konstellationen arbeiten Jost von Harleßem und Hanke Wilsmann, die in Gießen Angewandte Theaterwissenschaften studiert haben, an ihren freien Projekten. Am Staatsschauspiel Dresden haben sie mit Dietmar Dath die Live-Video-Performance „Superquadra“ realisiert.

Die politische Philosophie Daths übersetzen F. Wiesel in ein visuelles Konzept, das Grenzen der Sprache überschreitet. In der bemerkenswerten multimedialen Komposition zeichnen sie das Bild einer zerfallenden Welt. Allen technischen Möglichkeiten zum Trotz verlieren die Menschen ihre Werte. Hilflos jagen die Figuren einer Moral hinterher, die es nicht mehr gibt. In ihren Städten aus Pappe lässt es sich nicht mehr leben. Lustvoll lässt sich das Ensemble auf die Synthese zwischen Schauspiel und Technik ein. „Restworld“ zeigt die Grenzen eines Fortschritts, an dessen Ende die Zerstörung stehen könnte – oder aber eine neue Welt, in der Menschen die künstliche Intelligenz in neue Gesellschaftsmodelle einbinden. 

 

„Restworld“ von Dietmar Dath und F. Wiesel

Premiere: 15. Oktober 2021

Regie, Konzept und Bühne: Hanke Wilsmann und Jost von Harleßem

Figurenspiel: Cali Kobel

Kostüme: Naomi Kean

Sounddesign: Rupert Jaud

Dramaturgie: Michael Letmathe

Theaterpädagogik: Jeremy Heiß

Mit: Sandra Bezler, Leon Maria Spiegelberg, Jost von Harleßem und Cali Kobel

Fotos: Susanne Reichardt

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