Die aktuelle Kritik

Marius Alsleben, Stuttgart: "D.D. Rabbit"

Von Brigitte Jähnigen

PAPA. Dieses Wort, zärtlich moduliert, schickt der grau bekleidete Mann an der Bühnenrampe in die Stille des Zuschauerraumes. Es ist der unspektakuläre Auftakt einer so skurrilen wie poetischen, autobiografisch inspirierten Ein-Mann-Konzertperformance – Marius Alsleben umkreist in ihr Vatersehnsucht als Leerstelle in seinem Leben. Er bedient sich dabei der Figur des Hasen.

Inmitten von Musikinstrumenten, technischen Effektgeräten, einer mobilen Lichtinstallation, einem abgestellten Fahrrad samt Rollentrainer agiert Marius Alsleben als Musiker, Ich-Erzähler und Figurenspieler auf der kleinen Bühne des Figurentheaters. Das Weizenbierglas, das er als Requisit auf ein beleuchtetes Tischchen am Bühnenrand gestellt hat, wird in den nächsten sechzig Minuten nicht bewegt. Erst im Finale spielt es eine eigene Rolle.

Mit Hasenmaske, als rosafarbenes Häschen, zuletzt im Ganzkörperhasenkostüm mit einem Häschenkopf huckepack, erinnert sich der Künstler an seinen abwesenden Vater. Er performt Momente als Kind, Jugendlicher und Erwachsener. Alsleben lässt das rosafarbene Häschen in ein Loch in der mobilen Lichtinstallation fallen und singt mit kläglicher Stimme: „Häschen in der Grube“. In einem fiktiven Dialog mahnt er den mangelnden Trost des Vaters an, kritisiert zugleich fehlenden eigenen Mut, Trost einzufordern. Mit gequetschter Stimme erzählt er bis zur Atemlosigkeit – wie kleine Kinder das tun - von sich. Bezeichnet sich als „der Marius“ und erzählt, dass er schon mal „lange weg war“ und schrecklich geweint habe. Alsleben verfällt in hysterisches Schreien, kommentiert in skurriler Manier „man soll auch mal weinen“. Doch der Papa, der hätte trösten sollen, sei nicht gekommen.

Der Performer strampelt sich auf dem Fahrrad ab – er hat es auf den Rolltrainer gehievt –, kurvt auf der Bühne umher, erzählt dabei. Als „echter Männertag“ kommt diese Erinnerung daher: Der Vater fährt vorn, der Sohn folgt im Schlepptau. Dem Vorschlag des Sohnes, nebeneinander zu fahren, weil „man dann auch reden“ könne, folgt der Vater nicht. Zu dominant ist sein Sieger-Reflex. Und dann erinnert sich Alsleben an eine späte Vater-Sohn-Begegnung im Biergarten. Sehr weit voneinander entfernt sitzen sich die beiden gegenüber, prosten sich mit Weizenbier zu – „die Krone aus Schaum, ein alkoholischer Traum“, erinnert sich der Sohn. „Ich soll dich von der Mama küssen“, hat der Vater gesagt. Und dann stockt dem Publikum der Atem: Alsleben berichtet scheinbar abgeklärt, wie lange es dauerte, bis der Kuss beim Sohn ankam. Nicht nur die verbale Kommunikation war spärlich, es fehlte wohl auch zärtliche Körperlichkeit.

Immer wieder greift Alsleben zu seiner Gitarre, trägt Lieder vor, setzt elektronische Beats ein, erzählt. Er bewegt sich in der Stimmlage zwischen piepsig, wisprig und rau. „Papapapa“, titelt ein Lied und hat keine weiteren Textteile. Das Wort wird geloopt, mit schrillen Gitarrenriffs versetzt, die Bühne vibriert in der Synchronisation mit einem Lichtgewitter. Der Ankündigung, bei „D.D. Rabbit“ handele es sich um ein Konzert, wird Alsleben gerecht. Der ebenfalls angekündigte Bezug zum Figuren- und Objekttheater kommt durch längere Sprechsequenzen zu kurz.

Wie und wann der Vater abhanden kam, ist nicht zu erfahren. Alsleben berichtet von einer Todesanzeige im Internet. Doch der von den Hinterbliebenen betrauerte Mann gleichen Namens ist nicht sein Vater. Erfolgversprechender sind Interviews, in denen der Vater, der begeisterte Radfahrer, Auskunft gibt. Dass Vater und Sohn gemeinsam strapazierende Touren unternahmen, gehört zum Kontext risikobereiter und körperorientierter Aktivitäten, die Väter für ihre Kinder anstreben. Doch das Kind Marius wollte mehr. Wenn auch die Zeit vorbei scheint, in denen Väter nicht viel mehr als ein Hauch im Kinderzimmer waren, so sind es auch die fehlende körperliche Zuneigung, die das Vermissen bestimmen, wenn der Vater sich davon gemacht hat. „Ich vermiss dich“, singt Alsleben, sagt es immer wieder. Zufall oder nicht: Der Vater, ein Rolling-Stones-Fan, liebte deren Song mit dem Titel „Miss you“. Gesungen hat ihn Mick Jagger 1978. Jetzt singt ihn Alsleben.

Zuletzt verändert das Weizenglas auf dem Tischchen seine Lage. Und es ist ein bisschen wie Zauberei: Das Glas schmilzt, es neigt sich zur Seite. Es fällt. Marius Alsleben steigt in die beleuchtete Lichtinstallation, löst die Seitenwände. Mit sanftem Knall fallen sie um, der Performer verlässt das Podest, geht nach hinten ab, seine inneren Hasen bei sich. Marius Alsleben hat „D.D. Rabbit“ für Menschen ab 16 Jahren konzipiert. Dieses skurrile wie berührende Stück kann ein Weckruf für Väter und Söhne sein. Die weiche Pfote des großen Hasenmannes auf der Wange seines rosafarbenen Häschen-Sohnes, die tröstende Zuwendung „Ich bin ja da“ – was für ein großer Moment in dieser poetischen Inszenierung.

 

Premiere: 10.03.22

Idee, Spiel, Bau und Musik: Marius Alsleben | Ausstattung/Bühne/Bau: Clara Palau Y Herrero | Licht: Frieder Miller | Kostüm: Anne Ferber | Konzeption: Tobias Tönjes | Video/Grafik: Lucca Donalies | Outside Eye: Jan Jedenak | Outside Ear: Philip Riediger | Entwicklung: Anna-Kirstine Linke, Marius Alsleben

Bilder: Clarissa Kassai

 

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