Sarah Wissner & Emilien Truche, Stuttgart: "Raschel – Ein Stück Karton"

Mit staunenden Augen schaut Sarah Wissner aus der Umzugskiste. Wilde Geräusche, die sie dabei produziert, bringen die Kinder zum Lachen. „Raschel – Ein Stück Karton“ heißt das Materialtheater für Kinder ab drei Jahren, das auf der kleinen Studiobühne des Stuttgarter Figurentheaters FITZ im Stuttgarter Tagblatt-Turm zu sehen ist. Was die junge Figurenspielerin in dem 35-minütigen Spektakel aus einem Umzugskarton zaubert, reißt die Kleinen mit. Jenseits der Sprache tritt die Künstlerin mit ihnen in einen Dialog.

Auf der Studiobühne des FITZ hat Figurenspielerin Sarah Wissner 2017 auch ihre Bachelor-Inszenierung „The Dark Trullala“ in Szene gesetzt. Das düstere Spiel mit Kasperfiguren hat die Absolventin des Figurentheater-Studiengangs an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart entwickelt, und es seitdem bereits in Chemnitz, Neuss und beim Figura-Theaterfestival in der Schweiz gezeigt. Verstaubtes Kaspertheater neu zu denken, das hat die junge Künstlerin gereizt. Nun kehrt sie an die Stuttgarter Figurenbühne zurück. Im Rahmen des #TakeHeart-Programms des Fonds Darstellende Künste erhielt Wissner 2021 eine Forschungsresidenz in Kooperation mit dem FITZ Theater animierter Formen und dem Stipendiennetzwerk „Flausen“. So war die Recherche für das kindgerechte Materialtheater möglich und auch andere Künstler*innen werden in den kommenden Monaten durch geförderte Residenzen im Stuttgarter FITZ zu sehen sein.

Mit ihrer Produktion für die Kleinsten verblüfft die Spielerin vor allem die Kleinen. Den Großen fällt es nicht so leicht, sich auf diese Entdeckungsreise zu begeben. Mehr Orientierung durch die Sprache wäre da hilfreich gewesen. Schon der Titel „Raschel – Ein Stück Karton“ ist allzu schlicht gewählt. Denn die Produktion ist so viel mehr: Wissner entführt die Kinder in eine wundervolle Welt der Fantasie. Am Anfang steht der zusammengeklappte Karton. Aus dem schlichten Verpackungsmaterial entwickelt sie in der Regie von Emilien Truche ein Spiel, das die Vorstellungskraft beflügelt. Langsam öffnet die Figurenspielerin die Deckel aus Pappe. Dann kriecht sie in die Box hinein. Sie streckt die Füße hervor, beginnt mit der Kiste auf dem Buckel durch den Raum zu tapsen. Das erinnert an eine Schildkröte. Dann beginnt sie zu singen. Das klingt wunderschön. Mit zarten Gesten deutet sie eine Prinzessin an. Im Kopf entstehen Bilder. Die Kiste wird zum Schloss. Später kauert Wissner kichernd in der Ecke. Ihre Spiellust steckt an. Erst ist ein leises Klopfen zu hören, dann wird es lauter. Die Blicke der drei- bis vierjährigen Kinder im Publikum folgen der Spielerin. Ihre Neugier ist geweckt.

Theater zum Stillhalten ist „Raschel – ein Karton“ nicht. Gemeinsam mit Ines Müller-Braunschweig, die viel Erfahrung mit dem Theater für die Kleinsten hat, erarbeitete das Team ein Konzept, das den Kindern Lust aufs Mitspielen macht. In einem unscheinbaren Alltagsgegenstand entdeckt Wissner viele Spielmöglichkeiten, die sie den Kindern mit auf den Weg gibt. Einige können sich bei der Inszenierung kaum auf ihren Kissen halten. Zu beobachten, wie Wissner die Jungs und Mädchen mit ihren vergnüglichen Momentaufnahmen aus der Reserve lockt, das macht Freude. Hinter ihrem Konzept und Truches Regiehandschrift steckt kein trockener pädagogischer Ansatz. Der dramaturgische Rahmen überfordert die Kinder nicht und gibt dem Figurenspiel genug Raum zur Entfaltung: Die Lust auf Verwandlung lebt Sarah Wissner mit den wunderschönen Körperbildern aus, die sie klug und anmutig entwickelt.

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Raschel – Ein Stück Karton. Materialtheater für Kinder ab drei Jahren

Premiere: 22. Januar 2022

Weitere Aufführungen: 26. und 27. Januar im FITZ Stuttgart, 30. Januar im Kulturkeller Neuss, 10. März Internationales Welser Figurentheaterfestival

Spiel: Sarah Wissner

Regie: Emilien Truche

Künstlerische Betreuung: Ines Müller-Braunschweig

Spieldauer: 35 Minuten

Fotos: Emilien Truche

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