Die aktuelle Kritik

Musiktheater im Revier: „Frankenstein“

von Honke Rambow

Die neugegründete Puppenspielsparte gibt in Gelsenkirchen ihren Einstand als Monster in einer Oper von Jan Dvořák

Das Monster erwacht allein im Wald. Langsam entwickelt es ein Selbstbild, entdeckt sich Stück für Stück, erkundet seine Fähigkeiten. Schließlich begibt es sich in die Nähe der Menschen, erkennt die körperliche Differenz und sucht trotzdem ganz unschuldig den Kontakt und letztlich die Zuneigung. Ein Versuch, der allein aufgrund seines Aussehens zum Scheitern verurteilt ist. Als Coming-Of-Age-Geschichte könnte bezeichnet werden, was der Dramaturg und Komponist Jan Dvořák, der sich eng angelehnt an den Roman von Mary Shelley, sein eigenes Libretto schrieb, erzählt. Die Verschiebung des Blicks vom Wissenschaftler Viktor Frankenstein auf die unselige Schöpfung, ist nicht neu, hat aber ihren Reiz.

 

Es ist in der Oper vorgesehen, dass das Monster durch eine Puppe verkörpert wird. Das mag der Grund sein, warum sie nun zur Eröffnung der Saison in Gelsenkirchen auf dem Spielplan steht. Sie bietet vor allem für die gerade gegründete Puppenspielsparte eine hervorragende Möglichkeit sich am Haus sich vorzustellen. Evi Arnsbjerg Brygma, Bianca Drozdik und Eileen von Hoyningen Huene bedienen nicht nur die fast zwei Meter große Puppe, die von Karin Tiefensee und Ingo Mewes entworfen und gebaut wurde, sie leihen auch abwechselnd dem Monster ihre Stimme, sprechen Erzähltexte und singen kurze Passagen. Das alles ist durchaus beeindruckend. Es dauert nur wenige Augenblicke, bis die drei Spielerinnen so mit der Puppe verschmolzen sind, dass sie nur noch Schatten neben dem Monster zu sein scheinen, das aus sich selbst heraus agiert. Fast paradox: Noch eindrücklicher wird das Eigenleben des Monsters dadurch, dass die Spielerinnen immer wieder auch mit der Puppe direkt interagieren, um dann wieder in den Schatten zurückzutreten. Das hat große Klasse.

 

Dann jedoch verschiebt sich der Fokus der Geschichte hin zu Frankenstein. Zu spät allerdings, um von dessen Schöpfungsakt, der Hybris des Wissenschaftlers und den ethischen Konflikten zu erzählen. Stattdessen wird die Oper immer mehr zum etwas platten Schauermärchen und schließlich Abenteuerroman im ewigen Eis.

 

Britta Tönne hat für den Abend ein Einheitsbühnenbild gebaut. Ein anatomisches Theater, wie es im 18. und 19. Jahrhundert an großen Universitäten durchaus üblich war, mit steil ansteigenden Amphitheaterrängen um eine kleine Arena herum. Die dunkle Wolkenbemalung könnte barocken Deckengemälden entstammen und wechselt mit der Beleuchtung elegant die Atmosphäre. Das ist sehr sinnfällig, waren doch jene anatomischen Theater nicht nur Orte hehrer Wissenschaft, sondern dienten durchaus auch der Befriedigung von niederer Schaulust nach Nacktheit, Sexualität, Ekel, Grusel und Morbidität.

 

Der Regisseur Sebastian Schwab weiß aber dann doch oft nicht so recht etwas mit dem Bühnenbild anzufangen. Viel zu selten bespielt er mehr als die mittlere Fläche, auf den Rängen wird allzu oft nur dekorativ herumgestanden. Das ist zu wenig, um über zweieinhalb Stunden spannend zu bleiben. Einige merkwürdige Theatereffekte wie Seifenblasen, die Schnee darstellen sollen, machen es nicht besser. Und auch die aufwendigen Steampunk-Kostüme von Rebekka Dornhege Reyes sind immer nur kurze Attraktion.

 

Das Hauptproblem des Abends aber sind Text und Musik von Jan Dvořák. In der Erzählung gibt es keinen echten Rhythmus. Manches ist schlicht zu langatmig, anderes, das durchaus emotionale oder dramatische Substanz haben könnte, wird nur kurz wegerzählt. Wirklich quälend macht es aber erst die Musik. Dvořák schreibt eine Besetzung aus kleinem Streicherapparat, zwei Hörnern, Klarinette, diversen Tasteninstrumenten, Schagwerk und Geräuschemacher vor. Er weiß nur überhaupt nichts damit umzugehen. Nie gibt es einen wirklichen Gesamtklang, oft scheppert das Schlagwerk ziemlich sinnlos und vordergründig in den Streicherklang hinein, die Sounds des Geräuschemachers stehen eher neben der Komposition, als dass sie ihr tatsächlich etwas beisteuern würden. Die Musik ist weitestgehend tonal, scheint gelegentlich bei Richard Strauss oder Giaccomo Puccini zuzugreifen, rutscht mal Richtung Musical oder Filmmusik, um plötzlich wieder ein bisschen zeitgenössisch zu tun. Collage und Eklektizismus können großartig sein, wenn ein brillantes Handwerk dahinter steckt.

 

Wie Frankenstein selbst nimmt Dvořák einen Haufen musikalischer Leichenteile, aus denen er etwas neues erschafft, nur das mit dem Leben einhauchen bekommt er überhaupt nicht hin. Die Musik bleibt ein toter, nach Verwesung stinkender Haufen. Dazu schreibt der Komponist den Sänger*innen einen deklamatorischen Rezitativstil, der sicherlich anspruchsvoll für die Stimmen ist, ihnen aber keinerlei Möglichkeit gibt, auch mal zu klingen. Piotr Prochera als Frankenstein und Giulia Montanari als Elisabeth, Urban Malmberg, Michael Tews, Tobias Glagau, Sina Jacka, Rina Hirayama, Benjamin Hoffmann und John Lim in jeweils diversen Rollen und nicht zuletzt Dirigent Giuliano Betta quälen sich durch diese sinnlose Partitur, ohne sich dabei etwas anmerken zu lassen. Das verdient äußersten Respekt – diese Oper können sie allerdings genauso wenig retten wie die hervorragende Arbeit der Puppenspielerinnen.

 

Frankenstein

Oper in vier Akten von Jan Dvořák nach Mary Shelley

 

Besetzung

Regie: Sebastian Schwab

Musikalische Leitung: Giuliano Betta

Bühne: Britta Tönne

Kostüme: Rebekka Dornhege Reyes

Puppenbau: Karin Tiefensee, Ingo Mewes

Dramaturgie: Dr. Olaf Roth

 

Puppenspiel: Evi Arnsbjerg Brygmann, Bianka Drozdik, Eileen von Hoyningen Huene

Sänger*innen: Piotr Prochera, Giulia Montanari, Urban Malmberg, Michael Tews, Tobias Glagau, Sina Jacka, Rina Hirayama, Benjamin Hoffmann, John Lim

 

Termine: 3. Oktober 2019, 12. Oktober 2019, 20. Oktober 2019, 27. Oktober 2019, 1. November 2019, 16. November 2019, 1. Dezember 2019, 20. Dezember 2019., 5. Januar 2020

 

Foto: Monika und Karl Forster

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