Die aktuelle Kritik

Nofar Sela, Leipzig: "a plentiful void" – Workshop

Von Richard Wagner

Am Ende alle gemeinsam! Im Rahmen von "Beautiful Disaster. Expeditionen ins junge Figurentheater" am Westflügel Leipzig berichtet Richard Wagner über den Workshop "a plentiful void" von Nofar Sela.

Nofar Sela war am 1. Oktober 2021 im Westflügel Leipzig mit ihrer Performance Once I Am Not – Rehearsal For a Final Departure zu Gast. Als Reaktion auf den Tod ihrer Mutter übt sie darin für ihren eignen Tod: Was gilt es zu bedenken, wen gilt es wie zu verabschieden und wer bekommt am Ende eigentlich all ihr Zeug? Das Banale am Sterben bildet einen schützenden Ausgleich zu der sich einstellenden Schwermut, das Einsame einer Solo-Performance zum Thema Tod bricht Nofar durch die Einbeziehung der Zuschauer*innen.

Der Workshop, den Nofar Sela in der Woche darauf gibt, trägt den Titel a plentiful void. Wir sind sechs Teilnehmer*innen und haben alle mit dem Theater in weiterem Sinne zu tun, kommen aber aus ganz verschiedenen Himmelsrichtungen und mit unterschiedlichen Fragen in der Leere an. Das ist das Thema des ersten Tages. Ich trage viel in diese Leere hinein: ein Ende nach sieben Jahren Festanstellung – einen Neuanfang von unbekannter zeitlicher Ausdehnung, den Tod meiner Mutter, für dessen Verarbeitung ich mir wenig Zeit gelassen habe, und eine Neugier auf dieses Theater, bei dem die persönlichen Erfahrungen häufig das Fundament der Arbeit bilden. Ehrlichkeit und Offenheit bauen Zuschauer*innen eine Brücke, um selbst Teilnehmer*innen werden zu können – eine Stärke von Nofar Selas Arbeiten. 

Zu Beginn lässt Nofar uns Worte zu Leere assoziieren, dann sprechen wir in Zweiergruppen anhand von Zitaten und setzen uns schließlich mit bildender Kunst zu diesem Thema auseinander. Wir machen an diesem ersten Tag viele kleine Schritte, an dessen Ende eine fünfminütige, von jedem*jeder selbst kreierten Erfahrbarmachung der Leere steht. Diese performativen Skizzen beenden jeweils alle drei Workshoptage. Die Teilnehmerin Dana führt uns mit geschlossenen Augen durch den leeren Bühnenraum, der einzige Halt außerhalb der Leere ist ihr Arm. Die Skizze ist vor allem ein Spiel mit Vertrauen und Unsicherheit. Die geschlossenen Augen bilden unmittelbare Ränder, andererseits verschiebt die Schwärze darin sie ins Unendliche. Das Gefühl von Leere blitzt immer wieder auf. Der Teilnehmer Jonas lässt die anderen Spieler über die Bühne laufen, während abwechselnd eine*r bei ihm sitzt und über ein Smartphone auf den gleichen leeren Bühnenraum schaut, über den Rand des Bildschirms hinaus sieht man die anderen auf der Bühne Dinge tun. Ein Spiel mit verschiedenen Ebenen von Zeit und Raum – hier breitet sich im Dazwischen die Leere aus. Die Teilnehmerin Bhavani lässt sich auf der Bühne durch drei von uns ersetzen, am Ende sollen diese sich selbst umarmen. Doch wo sind wir, wenn wir Bhavani sind – Leere Nummer drei, hervorgerufen durch eine Irritation.

Tag zwei thematisiert den Tod. Wir sitzen auf der leeren Bühne um eine Picknickdecke herum, trinken Tee, reichen essbare Kleinigkeiten weiter und nähern uns durch mehrere kleine Übungen unserem persönlichen Verhältnis zum Tod an. Ich teile mit den anderen den Moment des Nicht-Spürens: Die Situation, in der ich den Anruf erhielt: Deine Mutter ist entschlafen. Die anderen teilen ihre jeweiligen persönlichen Begegnungen mit dem Tod. Häufig wird der death als Bräutigam (ja ist männlich konnotiert) beschrieben, dem niemand entgeht. Diese Assoziation führt die Teilnehmerin Kathi zu ihrer kleinen Performance-Skizze am Nachmittag: the aisle of death. Sie schreitet den Brautgang auf uns zu und illustriert dabei eine Reihe deutscher Metaphern des Sterbens – den Löffel abgeben, die Radieschen von unten anschauen, das Zeitliche segnen (eine religiöse Handbewegung über einem Digitalwecker), um sich am Ende dem Tod zu übergeben. Der Teilnehmer Jan lässt die Bühne um uns herum in der Finsternis mit einer Glocke von solch einer Intensität von allen Seiten beschallen, dass es durch und durch geht; danach Stille, die Glocke steht in einem aufscheinenden Spot. Wir assoziieren selbstverständlich an der Leitplanke des Themas, aber dieses markerschütternde Gebimmel lässt mich den Tod fühlen – meinen oder den eines nahestehenden Menschen. Die ohrenbetäubende Stille danach ist das Grau, welches die Farben der Welt überdeckt (der Moment, in dem ich nichts mehr spürte).

Der letzte Tag verheißt departure to death. Das hebräische Äquivalent zu departure to death hat drei Bedeutungen – aufbrechen, sterben, scheiden (zwar etwas altbacken, aber es trifft es eigentlich am besten). Wir beginnen damit, unseren letzten Willen zu formulieren. Diesen Instruktionen widersetzt sich fernab von Bühnen kaum jemand. Wir alle (also die Workshop-Teilnehmer*innen) verlangen eine Party zu unseren Ehren. Nur die Playlist divergiert sehr stark. Wir nähern uns diesem Scheiden auch in einer non-contact Kontaktimpro, die uns auf der Bühne noch mal anders miteinander in Verbindung setzt. Die Abschlussperformances sind geprägt von diesen Eindrücken, die in ein partizipatives Verhältnis zwischen Performer*innen und Zuschauer*innen (wahrscheinlich besser Teilnehmer*innen) münden. An diesem Tag sind vier der sechs Performance-Skizzen geprägt von Partizipation. Der Teilnehmer Jonas lässt sich von uns auf der Bühne mitteilen, was er alles in unserem Leben, in der Politik und der Welt da draußen verpassen wird, dann reicht er uns die Hand und verschwindet durch die Tür – allein zurückgeblieben, dröhnen die ehrlichen, die dystopischen und die hoffnungsvollen Zukünfte in der Stille nach.

In unserer abschließenden Feedbackrunde bleiben mir zwei Aspekte in besonderer Erinnerung. Zuerst die Frage, die sich aus dem Handwerkszeug, das Nofar uns gab, weiterdenken lässt: Wie wird es möglich, den*die Zuschauer*in aus ihrer Passivität zu holen und zum*zur sich einbringenden Teilnehmer*in zu machen? Für mich sind Teilaspekte einer Antwort – sich auf der Bühne ehrlich machen, denn dann ist das Publikum am ehesten bereit, Teil einer Erfahrung zu werden und eine gemeinsame Atmosphäre herzustellen, in der das Publikum seine Teilnahme als notwendig erachtet (beide Aspekte vgl. Once I am not). Der zweite Aspekt umfasst eine Aufgabe: In unserer Gesellschaft ist der Tod und was damit einhergeht, immer noch an vielen Stellen tabu. Die Kunst darf ihn aus dem Tabu herausholen und für den Menschen verhandeln – wenn sie es wie Nofar Sela tut, sogar mit ihm gemeinsam.

 

Fotos: Dana Ersing

Titelbild: Bhavani in ihrer Abschlusskizze

Bild 1 im Fließtext:: Kathi und Bhavani bei einer Spiegelszene in Richards Skizze

Bild 2 im Fließtext: Jan in seiner Abschlussskizze

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