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Puppentheater Magdeburg: "Der kleine Häwelmann"

Von Birgit Ahlert

„Der kleine Häwelmann“ hat eine lange Geschichte, die bis ins Jahr 1849 zurückgeht. Das Magdeburger Puppentheater hat daraus eine moderne Inszenierung gemacht, die viel Platz für Fantasie schafft.

5-4-3-2-1-Countdown und der Tag beginnt! Er rast von früh bis in die Nacht. Kaum aufgestanden, ist es Mittag, Feierabend und es wird dunkel. Ein aufregender Tag geht zu Ende. In einem äußerst unterhaltsamen Schnelldurchlauf von nur vier Minuten ist alles erlebt und alle Kinder schlafen – „selbst die wilden, selbst die braven“, verkündet die Stimme aus dem Off. Doch den kleinen Häwelmann interessiert das nicht. Er ist ein aufgeweckter Bursche und will vom Schlafen nichts wissen. Eine Situation, die Eltern und Kinder aus dem Alltag bestens kennen und sich damit identifizieren können.  

Das Märchen schrieb einst Theodor Storm im Jahr 1849 für seinen Sohn Hans. Auf die damalige Zeit strenger Erziehung blickend, war es wohl weniger eine liebe Gute-Nacht-Geschichte als die Ermahnung zum Schlafen, denn sonst kann allerhand passieren. So schließt das Original mit dem Verweis, dass alles nur ein böser (Alp)Traum gewesen sei. Davor brauchen sich die Besucher des Puppentheaters jedoch nicht zu fürchten. Als Weihnachtsmärchen ist hier eine unterhaltsame Inszenierung für die ganze Familie entstanden.

Aus dem historischen Stoff entwickelt sich ein zeitgenössisches Spiel mit moderner Sprache, es wird viel gereimt und es ist allerhand zu erleben: Nachdem die Eltern müde eingeschlafen sind, setzt der kleine Häwelmann die Segel, im wahrsten Sinne, und macht aus seinem (Roll)Bett ein Schiff, das ihn überallhin bringen kann. Eine spannende Reise beginnt. Kreuz und quer durch die Nacht. Auf seinem Weg begegnet er fantastischen Wesen, die nur im Dunkeln zu entdecken sind. Der Wetterhahn erwacht zum Leben, ein Brunnen beginnt zu reimen, eine Katze schleicht durch den Wald und fordert Geschenke – bis die Fahrt schließlich hinauf zu den Sternen führt.

Dies alles in einer minimalistisch-variablen Kulisse. Fast in ganzer Bühnenbreite erstreckt sich eine große Maltafel, auf der eine ganze Welt entsteht. Häuser, Wald, Figuren … Mit Wisch-und-Weg und neu gezeichnet entstehen immer wieder andere Szenen. Einfach und kunstvoll zugleich. Mal mit schnellen Zügen, mal rhythmisch wischend sorgen die Spieler für die Wechsel. Dazu gesellen sich wenige, aber äußerst effektiv eingesetzte Figuren, die bravourös vorgeführt werden. Der kleine Häwelmann hat im Hauptpart als Tischpuppe Präsenz zu allen Seiten (vorrangig geführt von Luisa Grüning und Kaspar Weith). Charaktere wie Eltern, Mond und Katze bekommen Ausdruck durch flache Masken, deren Handhabung perfekt beherrscht immer zum Publikum gerichtet ist, egal wohin sich die Spieler bewegen. Das fasziniert und fesselt den Zuschauerblick.

Auf besonderen Zuspruch stoßen die gereimten Passagen mit Sprüchen wie „Fliegt der Bauer um den Turm, ist es wohl ein Wirbelsturm“, der die Zuschauerkinder zum Lachen bringt. Und Lachen, so sagt der Häwelmann, ist das beste Mittel gegen Angst. Die könnte man vielleicht bekommen, wenn der Lupus-Wolf überdimensional die Bühne zu übernehmen scheint – oder der Häwelmann vom Himmel ins Meer stürzt. Er hätte ertrinken können, wenn nicht „du und ich gekommen wären und ihn in unser Boot genommen hätten“. Keine Sorge also: Der Junge kommt wieder heil zurück nach Hause. Müde und glücklich, weil er so viel erlebt hat.    

Zum Schluss fragt sich der erwachsene Betrachter vielleicht, ob man Kinder wirklich anregen sollte, allein nachts durch die Stadt oder gar in den Wald zu gehen. Und ob ein „Irgendwer kommt und hilft dir“ weniger gut oder doch vertrauensvermittelnd ist. Die Zuschauerkinder jedoch sprachen letztlich über anderes: über die Sabine in der Praline, die freche Katze und tanzende Sterne. Und welche Welten mit Kreide auf einer Tafel entstehen können!

Das macht deutlich: Die Inszenierung des Magdeburger Puppentheaters ist wunderbar geeignet als Weihnachtsmärchen, prädestiniert für das gemeinsame Erleben. Und sie zeigt: Fantasie kennt keine Grenzen. Diese wird sogar noch fortgesetzt in einem liebevoll gestalteten Programm, zu dem nicht nur das Originalgedicht gehört, das Theodor Storm seiner Geschichte vorangestellt hatte. Es birgt in seinem Inneren zudem die Vorlage für ein Spiel zum Stück. So kann die Geschichte vom kleinen Häwelmann in seiner Schönheit durch die Adventszeit – und vielleicht auch darüber hinaus – in den Familien weiterleben. Inspirierend für weitere Reisen durch das Land der Träume und der Fantasie.

 

Der Kleine Häwelmann nach Theodor Storm, für Menschen ab 4 Jahre.

Premiere: 27.11.2021

Regie, Bühne und Ausstattung: Frank A. Engel

Musik: Christian Claas

Puppe Häwelmann und Kostüme: Kerstin Schmidt

Dramaturgie: Anna-Maria Polke

Spiel: Luisa Grüning, Jana Weichelt, Lennart Morgenstern, Kaspar Weith

Fotos: Anjelika Conrad

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