Die aktuelle Kritik

Puppentheater Halle: "Das singende, klingende Bäumchen"

von Jessica Hölzl

Neubearbeitung des Märchens in einer extrem wandelbaren und wunderschön schlichten Bühne.

Der Saal voller Kinder, gespannt und mit leuchtenden Augen. Ganz ruhig wird es, als die Musik ertönt und drei SpielerInnen die Bühne betreten. Drei Wissenschaftler, tief geschlitzte Klappmaulköpfe, die den Blick auf Zähne und Zahnfleisch frei geben, mit Brille und strengem Blick, nehmen die Stühle zum Körper, erhalten Krawatte und Sakko und stürzen sich in eine hitzige Diskussion: Was ist die Liebe? Eine kulturell bedingte Tradition, individuelles seelisches Geheimnis oder letztlich doch nur ein biochemischer Vorgang? Ein Märchen? - Oh ja, ein Märchen!

Und sie erzählen "Das singende, klingende Bäumchen", bekannt durch den DEFA-Film von 1957, für die Bühne bearbeitet und vielfach inszeniert, an unzähligen Kinderbetten erzählt und vorgelesen, in einer Neubearbeitung der Grimmschen Vorlage nach dem Buch von Anne Geelhaar unter der Regie von Kalma Streun.

Die Rollen werden festgelegt: Ein König, ein Mädchen, ein Dummkopf. Ein Bäumchen, die Liebe, drei Perücken, die sich die Herren gegenseitig überwerfen und schon überschlagen sich die Ereignisse. Die Bühne, eine dunkle Holzwand aus Fenstern, Türen und Klappen, stellt das Gemach des Königs dar, der sorgenvoll über das Schicksal seiner starrsinnigen Tochter sinniert, aus einer Klappe springt die schöne Prinzessin, fletscht die Zähne, das Gewehr im Anschlag, und schießt alle Freier in die Luft, sodass die Plastikkens wie auf einem Schlachtfeld zurückbleiben. Der aggressiven Verehrten steht ein untypischer Verehrer gegenüber: Die Flügeltüren schwingen majestätisch auf, als der Prinz mit leichtem Schielblick auf seinem Pferd Pegasus hereingaloppiert. Sie verspricht dem treudoofen Verehrer, ihn zu heiraten, wenn er ihr das singende, klingende Bäumchen bringt.

Beschwingt reitet der tollpatschige Held zu den gläsernen Bergen, zu denen sich die beweglichen dreieckigen Bodenplatten nun auftürmen, teils Spiegel, teils Stücke des Regenbogens, Sinnbilder von Schönheit und Sehnsucht, Abscheu und Begierde. Der garstige Zwerg, eine Gliederpuppe mit hämischem Blick, eingetaucht in rotes Licht, begleitet von sphärischer Musik, überlässt ihm das Bäumchen, das nur dann singen und klingen wird, wenn die Prinzessin ihn liebt – kein Problem, behauptet der einfältige  Prinz. Doch ein Problem, denn kurz darauf findet er sich in einen Bären verwandelt wieder, mit flauschiger brauner Maske auf dem holzigen Schädel, nun von seiner Angebeteten endgültig verachtet. "Du stinkst", wiederholen Kinder im Publikum begeistert ihre Beschimpfungen. Der Zwerg, ganz Siegertyp mit Sonnenbrille und Champagner, feixt und singt zur Melodie des Prinzen aus Disneys "Aschenputtel" Spottlieder auf den verliebten Narren. Dessen einziger Weg zur Rettung: die Entführung der Prinzessin.

Das Spiegelkabinett der gläsernen Berge wird zum Ort der Wandlung. Die Prinzessin verliert nicht nur ihre Schönheit, sondern allmählich auch ihren Hochmut. Zwar kann sich der breitmäulige, hässlich glotzende Fisch nicht wehren, doch ihre Gemeinheit gegenüber der üppigen Ganzkörpermaske wird der verwöhnten Prinzessin mit einem Mal klar und sie beweist ihre Besserung in einer wunderschön gestalteten Seerettung des Fischs hinter grün beschienenen Scheiben der Bühnenwand und eindrucksvollen Schwimmspiel.

Geläutert kann sie sich die Liebe zum Bären eingestehen. Sie rettet ihn vor den Jägern ihres Vaters, das Bäumchen singt und klingt und die Liebenden, nun zurückverwandelt in ihre eigentlichen Erscheinungsformen, fallen sich in die Arme. Er hebt sie auf ihr Pferd – den Kuss lassen sie aus, zu breit die Münder und die Zähne könnten stören. Sie: Zu mir oder zu dir? - Er (Dummkopf): Ja.

Mit wenigen Handgriffen verwandelt sich die Bühne zurück zur Ausgangssituation: Flacher Boden, drei Stühle, drei Kahlköpfe, die über die Liebe debattieren und als klar wird, dass hier keine Lösung in Sicht ist, wird ihnen kurzerhand das Licht ausgedreht.

Schön. Der Applaus hält lange an, der rasante Ritt wurde abrupt, doch klug beendet, schlau gespannte Bögen, die nur an wenigen Stellen ein bisschen zu schnell übergingen. So wird der Grund für die Verwandlung der Prinzessin nicht sofort deutlich und auch das Hin-und-Her zwischen Vater und Tochter um die Rückholung des Bäumchens verwirrt zunächst in seiner Zackigkeit der Wünsche und Absichten, bis die nächste klare Handlung feststeht. Besondere Glanzpunkte der Inszenierung sind sicherlich die extrem wandelbare und dabei wunderschön schlichte Bühnengestaltung und die makabren Klappmaulköpfe, die jeder auftretenden Figur einen latent fiesen Eindruck beimischen und dadurch das in Märchenstoffen üblicherweise enthaltene Klischeegefahrenpotential immer wieder aufbrechen. Das lohnt. Und macht richtig viel Spaß.

 

Premiere: 24. September 2016

 

Regie, Bühne und Kostüme: Kalma Streun

Puppen: Lilli Laube, Hagen Tilp
Musik: Demian Kappenstein
Mit: Ines Heinrich-Frank, Lars Frank, Sebastian Fortak

Foto: Anna Kolata

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