Die aktuelle Kritik

HELIOS Theater Hamm: "Spuren"

Von Anke Meyer

Nachdenken über eine Inszenierung, der der dramaturgische Biss fehlt.

 

Foto: G. Breuer

 

Narben sind auch Spuren

„An was erinnert man sich, wenn man auf seine eigenen Spuren zurückblickt?“ fragt der Ankündigungstext für „Spuren“, die neue Inszenierung des HELIOS Theaters für Kinder ab 2 Jahren.  An was erinnert man sich, wenn man auf die Premiere zurückblickt? Mir kommt sofort der durchdringende Schrei eines kleinen Mädchen zu Beginn der Vorstellung in den Sinn – sie war von der Bank gekippt und unglücklich auf eine Kante gefallen. Dies mag sich despektierlich anhören. Der Vorgang hat sich mir aber auch deshalb so deutlich eingeprägt, weil er mit dem von Helios und der Regisseurin Barbara Kölling entwickelten Stück auf verschiedene Arten verwoben scheint.

Zum einen durch die Verortung, denn die kurze, sandige Inszenierung beginnt schon im Foyer: zwei Hut tragende Männer (Michael Lurse und Marko Werner) markieren zwischen den wartenden Zuschauern mit Kreide und Papierschnipseln unterschiedliche Spuren, gehen auf die Kinder zu, nehmen Kontakt auf und ziehen den Pulk von Kleinen und ihren Erwachsenen wie Rattenfänger hinter sich her, in den Theaterraum. Damit ist der hier passierende Zwischenfall bereits mitten im Spiel angesiedelt, hinterlässt seine eigenen Spuren in der Vorstellung, indem er den ästhetisch ausgeklügelten Bewegungs- und Lautmustern der sowohl Spuren hinterlassenden wie suchenden Spieler ein Winziges von ihrer beschwingten Leichtigkeit nimmt.

Und er weist  zum anderen – bei aller Freude, die das teils clowneske, teils beeindruckend bildstarke Spiel der beiden Männer im Verein mit den einfühlsamen musikalischen Interventionen von Roman Metzner bereitet – auf eine Leerstelle in dieser Arbeit hin: Leid und Scheitern bleiben ausgespart. Was bei Erfolgsstücken wie "Holzklopfen", die ebenfalls im kreativen Umgang mit Objekten und Material die Wahrnehmung des sehr jungen Publikums zu sensibilisieren suchen, funktioniert – beim Thema „Spuren“  scheint die künstlerische Vorgehensweise von HELIOS,  die vor allem auf visuelle und musikalische Synergien, spielerische Basishandlungen und eine gewisse harmonische Grundstimmung setzt, an ihre Grenzen zu gelangen.

Natürlich hinterlässt alles Spuren – heutzutage ja fast jede unserer Bewegungen in der (virtuellen) Welt. Doch das, was sich einprägt, einschreibt in die eigene Erinnerung, sind nicht nur die Abschiede ohne Abschiedsweh oder die heiteren Begegnungen – sind es nicht auch die Momente des Scheiterns, des Schmerzes, die nachhaltige Eindrücke hinterlassen, Veränderungen anstoßen? Gerade im Leben von kleinen Kindern spielt es doch eine große Rolle, dieses Fallen und wieder Aufstehen, Scheitern und noch einmal Versuchen, Glück und blaue Flecke bei Versuch und Irrtum …

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: mit fehlt nicht die Fabel oder der dramatische Konflikt in dieser schönen Arbeit für kleine Kinder – aber eine spielerische Umsetzung auch der schmerzlichen Aspekte von Spuren, ein dramaturgischer Biss, wenn man so will.

Nach der Vorstellung, wieder im Foyer, begegnete mir die kleine Unglücksräbin. Ihre Platzwunde war inzwischen im Krankenhaus verarztet worden, den Klammerverband trug das Mädchen mit einem gewissen Stolz. Möglicherweise wird eine kleine Narbe auf ihrer Stirn bleiben, als kaum sichtbare Spur eines Theaterbesuchs.

 

Spuren
Theater HELIOS, Hamm
Inszenierung: Barbara Kölling
Spiel: Marko Werner, Michael Lurse
Musik: Roman D. Metzner
Dramaturgie: Erpho Bell

 

Aus dem vom Theater Helios gemeinsam mit der polnischen Teatr Atofri erarbeiteten künstlerischen Material gingen zwei voneinander unabhängige Inszenierungen mit dem Titel „Spuren“hervor, beim Festival „hellwach“ werden erstmalig beide zusammen gezeigt.

 

www.helios-theater.de

 

 

In Zusammenarbeit mit double - Magazin für Figuren-, Puppen- und Objekttheater

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