Die aktuelle Kritik

Berg Werz in der Schaubude Berlin: "Die Göttin nebenan"

Von Ulrike Krenzlin

Regisseurin und Schauspielerin Wera Herzberg schlägt einen weiten Bogen in die Geschichte.

 

Foto: Katja Schmidt

 

Fundstücke aus frühen Zeiten

Wir wissen es ja alle, ohne unsere Geschichte können wir die Zukunft nicht gut gestalten. Wie also Geschichte vermitteln? Das ist heutzutage in Öffentlichkeit und Politik, kurz überall, das eigentlich schwierige Problem. Dass das Theater ein besonderer Raum dafür sein kann, zeigte sich in der neuen Inszenierung der Berliner Gruppe berg werz, „Die Göttin nebenan“. Die Regie führende Schauspielerin Wera Herzberg schlägt darin einen großen Bogen ganz weit hinein in die Geschichte, nämlich 6000 Jahre zurück. Für die Ausstattung dieser langen Strecke ließ sie sich von der litauischen Archäologin  Marija Gimbutas (1921-94) anregen. Dieser Forscherin ist an der Harvard University eine beispiellose Karriere gelungen. Erfolgreich war vor allem ihr Buch über die „Sprache der Großen Göttin“.

Im Wechselspiel mit der Schauspielerin Katrin Heinrich katapultiert sich Wera Herzberg also 6000 Jahre zurück, mitten hinein ins Neolithikum. Mit Riesensprüngen in Richtung Gegenwart sammeln die beiden unterwegs fünf Fundstücke auf und kommen – Tatsache – aus dem Proto-Europa alsbald in unserer Zeit an, genaugenommen am 28. August 1978, dem  Geburtstag von Katrin Heinrich. Wera Herzberg, gekleidet als Schamanin, berichtet hingegen von einem Todesfall aus der Gegenwart. Zu beider Wandergepäck durch die Zeitläufte gehören Zeichen aus der Schnur- und Bandkeramik: Brüste, Schöße, Geschlechtsteile, aufgerissene Frauenleiber, alles alte Fruchtbarkeitssymbole. Katrin Heinrich wirft die Abbreviaturen auf zehn lange Papierbahnen, die die Bühnenwände heruntergerollt sind. Im Schnurkeramik- und Glockenbecherstil schreibt sie diese Zeichen mit wilden Kreidestrichen auf, als ob sie die Elemente vom Leben und Tod der Altvorderen erneuern könnte.

Zäsuren zwischen den fünf Fundstücken ziehen die beiden Schauspielerinnen mit litauischen Kinder- und Volksliedern. Darunter berührte mich das Lied von der Mutter, die ihr Kind tagsüber bei der Erntearbeit am Feldrain ablegt. Am Abend fand sie es tot wieder. Eine Schlage hatte es gebissen. Danach irrt sie noch lange durch die Felder, als ob sie ihr lebendes Kinder wiederfinden könnte. Mit diesem Lied ziehen die Schauspielerinnen den Schulterschluß von der alten Muttergöttin Erde in die Neuzeit. Aus der fruchtbaren Tellus ist die neuzeitliche Zauberin, Hexe und Geisterfrau geworden. Auf dem Fuß  folgte ihr die Schlange. Ursprünglich ein gar freundliches Tier, das mit den Kindern aus einem Napf fraß,  ist sie – spätestens durch den Sündenfall im Alten Bund – zur Inkarnation des Bösen mutiert.

Mehr Geschichte kann man in 80 Minuten Spielzeit nicht erwarten. Der Weg in die alte Zeit erfordert ein zähes Studium. Und alte Sprachmodelle zu lernen, ist außerordentlich schwierig. Das spürte man an vielen Stellen noch zu sehr. Vielleicht wäre der Inszenierung ein wenig mehr Zeit für die Probenphase gut bekommen.

 

 

berg werz: Die Göttin nebenan

Premiere 11. April  Schaubude Berlin
Regie: Wera Herzberg

Spiel: Katrin Heinrich, Wera Herzberg,

Bühne: Ensemble

 

www.schaubude-berlin.de

 

 

In Zusammenarbeit mit double - Magazin für Figuren-, Puppen- und Objekttheater

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