Die aktuelle Kritik

Internationales Figurentheaterfestival „Blickwechsel“ 2018

Von Kathrin Singer

Das Festival am Puppentheater Magdeburg gibt faszinierende Einblicke in die aktuelle Figurentheaterszene 

Mehr als 30 Aufführungen, dazu eine Werkschau einer eigens eingerichteten Masterclass Regie prägten die 12. Ausgabe des Internationalen Figurentheaterfestivals „Blickwechsel“ in Magdeburg. Dazu kamen Aufführungen in „Laboratorien“, die die Bandbreite ostdeutscher Ensemble-Puppentheater in Bautzen, Chemnitz und Magdeburg präsentierten. Magdeburg entwickelt sich immer weiter zu einem Treff für den professionellen Austausch und lässt spannende Einblicke in die ästhetische Entwicklung eines traditionellen Genres zu, das sich zunehmend mit andern Künsten wie Tanz, Schauspiel und Bildender Kunst verzahnt.

Puppentheater für alle Altersstufen

Das Festival fungiert dabei allerdings nicht nur als Austauschplattform und Szenetreff, sondern lockt lokales und internationales Theaterpublikum aller Altersstufen an die in der ganzen Stadt verteilten Spielorte.
Als „trashigstes Theater für die Allerjüngsten“ beschrieb ein Zuschauer auf einer der überall aufgestellten Kommentarwände die Produktion „Baby Macbeth“ der belgischen Kompagnie „Cie Gare Centrale“. Spielerin Agnès Limbos agiert an einem halbrunden Tisch, unter dem sie die wundersamsten Objekte hervorzaubert. In den Tisch eingelassen sind Kinderstühlchen, auf denen fünf Auserwählte des Zielpublikums – Kleinkinder ab 12 Monaten – Platz nehmen dürfen. Die Knirpse – versehen mit Krönchen und Diademen – sitzen also direkt auf der Bühne und werden damit zu den Hauptfiguren der kleinen Shakespearekonferenz. Limbos handelt in den 30 Minuten die wichtigsten Dramen Shakespeares ab und erzählt mit Stoffpüppchen, blinkenden Herzen und Miniaturschwertern „Romeo und Julia“, „Macbeth“ und den „Sommernachtstraum“ extrem verkürzt und fesselt die Kleinsten, indem sie auf deren sehr direkten Reaktionen unmittelbar eingeht. Die Erwachsenen erkennen die Motive, die Kinder staunen ob der diversen hervorgezauberten Lichter, Blumen und Tiere. Nicht alle Babies verfolgten das Geschehen gleichermaßen fasziniert, aber mal ehrlich: wer von den Erwachsenen kann das von seinen eigenen Theaterbesuchen immer behaupten?


Kontrastprogramm im Opernhaus: Dem Puppentheater Magdeburg ist es gelungen, die „Tiger Lillies“ mit ihrer Produktion „Edgar Allan Poes’s haunted palace“ in der Deutschen Erstaufführung nach Magdeburg zu holen. Die britische Kultband ist bekannt für ihre morbiden, alptraumartigen Bearbeitungen von Literaturklassikern. Hier haben sie sich in der Art eines bebilderten Konzertes von Edgar Allan Poes turbulentes Leben und Motiven seiner bekanntesten Gruselgeschichten inspirieren lassen. Frontsänger Martyn Jaques gibt, assistiert von Lucy Kilpatrick als „Doris“ den teuflischen Spielmeister, einen bösen Engel, der das Geschehen kommentiert und den beindruckend körperlich agierenden Poe-Darsteller Martin Bassindale buchstäblich vor sich hertreibt. Der irrt, von magischer Tinte gesteuert, durch besagtes Spukschloss und gerät, von einem Alptraum in den anderen. Die großartigen Videoprojektionen von Mark Holthusen auf einfacher Leinwand ziehen ins Geschehen und schaffen assoziationsreiche Räume. Dennoch fungieren die beiden Schauspieler in der Regie von Paul Golub zuweilen nur als Stichwortgeber für die nächsten Songs der Band. Die allerdings – eine Mischung von Zigeunerliedern, Blues und großer Oper mit origineller Besetzung von singender Säge bis Theremin – sorgen für Jubel beim Festivalpublikum im Opernhaus.


Die Verbindung von klassischem Marionettentheater mit modernsten Theaterformen der Gegenwart sucht die slowenische Produktion „Open the Owl“ des Ljubljana Puppet Theatre. Im Zentrum der Aufführung des seit genau siebzig Jahren bestehenden Ensembles stehen detailgetreu nachgebaute Miniaturmarionetten, mit der das Theater den „Vater“ des slowenischen Marionettentheaters, Milan Klemenčič ehrt. Klemenčič war in den 1920er Jahren der Leiter des ersten professionellen Puppentheaters in Slowenien – eine Sammlung seiner Marionetten wird im Archiv des Ljubljana Puppet Theatre aufbewahrt und inspirierte Regisseur Renaud Herbin zu seiner multimedialen Inszenierung. Im Mittelpunkt der Geschichte steht Franz Poccis Figur des Baron Kauzenveit, der in eine Eule verwandelt wurde. Um wieder zu einem menschlichen Wesen zu werden, muss er sich – vom Kasperl - alle Federn ausreißen lassen. Diese wiederum haben Zauberkräfte... Herbins Inszenierung geht der Frage nach, was Manipulation, List und Täuschung aus Menschen macht, welchen Preis Unersättlichkeit und Machthunger haben. Dafür nutzt er zunächst die klassische Guckkastenbühne, die aber schnell aufgebrochen wird. Die Spieler Maja Kunšič und Iztok Lužar öffnen den Bühnenraum für die Zuschauer, die sich frei im Raum bewegen und dadurch das Geschehen aus vielen Perspektiven – ganz nah oder über die Bildschirme und Videoprojektionen verfolgen können. Selten haben sich die begeisterten Zuschauer wohl so ungern vom Bühnengeschehen getrennt, waren doch zahlreiche, äußerst liebevoll gestaltete Marionetten im Anschluss aus nächster Nähe zu bewundern.

Begeisterungsstürme löste die Inszenierung „Stroh zu Gold“ vom Theater Meschugge aus. Die Granddame des Puppentheaters, Ilka Schönbein, inszenierte eine Variante des bekannten Märchens vom Rumpelstilzchen. Dafür benötigen die beiden Spielerinnen Pauline Drünert und Alexandra Lupidi verblüffend wenige, einfache Mittel, um in ruhigen Bildern augenzwinkernd vom Geheimnis aller künstlerischen Kreativität zu erzählen. Drünert lässt Figuren buchstäblich aus sich herauswachsen: ein staubiger Mehlsack über den Fuß gestülpt nebst Kopf in der Hand wird zum untertänigen Müller, der seine Tochter an den König verkauft. Drünert, die auf einem kleinen runden Podest thront, schlüpft in die Rolle der Müllerin, die von einem spinnenartigen Wesen belagert wird – Rumpelstilzchen als Dämon, der für seine Schöpferkraft nichts Geringes will als das Leben. Ein großer aufgeklappter Regenschirm verwandelt sich im Handumdrehen in ein Spinnrad, Hochzeitskleid, Babybauch und Wiege. Kongenial zur Seite steht ihr die Musikerin Alexandra Lupidi, die der Geschichte den nötigen Drive verpasst. Sie steppt, krächzt und zirpt zu Ukulele und Fiddel mit einer betörenden Stimme, die eine gedämpfte Jazztrompete ebenso erklingen lassen kann wie eine klassische Liebesarie.

Puppentheater Magdeburg - Die Eigenproduktion "Mozart"

Die Magdeburger selbst beteiligten sich ebenfalls wieder mit einer Eigenproduktion am Festival, diesmal mit der Premiere des Hofspektakels „Mozart“. Regisseurin Roscha A. Säidow, Artist in Residence am Puppentheater, fügt in ihrem neuesten Wurf den Geschichten um das Komponistenduo Mozart-Salieri eine neue, äußerst vergnügliche Variante hinzu und wirft Fragen über den Umgang mit Künstlern nicht nur zu Kaisers Zeiten auf. Mit strohartigen Turmfrisuren und in mit Anleihen an die Barockmode versehenen königsblauen Kostümen gewandet, wuselt das Ensemble des Puppentheaters über die Bühne des Puppentheater-Innenhofs. Das Kaiserpaar ist unzufrieden, die elf Kinder sind aus dem Haus, bleiben nur noch Poesie und Musik zum Zeitvertreib. Hofkapellmeister Salieri, „leidet an Routine“ und liefert nur noch öde, kaum unterscheidbare Variationen ewig gleicher musikalischer Motive. Abwechslung muss her, wenn es sein muss, auch mit Hilfe finsterer Mächte, wo doch der Nachbarhof sogar mit einem veganen Parfumeur protzen kann. Mit Mozart kommt die Party an den Hof, schrill, vulgär, überdreht, ein wenig so, wie man den Wunderknaben aus Milos Formans Verfilmung kennt. Doch der Paradiesvogel wird bald zu teuer – zwei Komponisten am Hof sind einer zu viel. Ein Opernwettstreit muss her...

Roscha A. Säidow, die nicht nur Regie führte, sondern gemeinsam mit Andres Böhmer treffsichere, teilweise soghafte Songs komponierte, bringt die große Oper auf die kleine, allerdings opulent ausgestattete Puppentheaterbühne (Bühne: Julia Plickat). Das tut sie auf äußerst originelle Art, denn für den Höhepunkt, das kaiserliche Event des Opern-Battles nutzt sie die kleinstmögliche Form: Für Salieris Beitrag belebt das Ensemble ein Miniatur-Papiertheater, dessen Spiel per Livecam auf die große Leinwand projiziert wird. Ebenso Mozarts HipHop-Rap-Beitrag mit Barbie-Puppen und Discokugel. Kunst reduziert auf Event, konsumierbar, austauschbar, wegwerfbar. Dass am Ende Mozart und Salieri gerettet und die „Bulimie-Gesellschaft“ dem finsteren „Morbus“ in den Abgrund folgen muss, ist eine der scharfsinnigen, tröstenden Utopien Säidows.

 

Foto: Open The Owl - Jesko Döring

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