Die aktuelle Kritik

PendelMarionetten, Waldenburg: "Ein paar Grad plus – die Klimakonferenz"

Von Andreas Dehne

Die Uraufführung von „Ein paar Grad Plus“ ist der Höhepunkt beim „Festival der Marionette.“ In der szenenreichen Inszenierung wird die problematische Zukunft der Erde verhandelt, die einen faden Beigeschmack hinterläßt.

Die Welt hängt am seidenen Faden. Das scheint zunächst die Botschaft zu sein. Auch wenn es erst einmal nur die Welt der Marionetten ist, die sogar an bis zu 18 Fäden hängen kann. Unter der Leitung von Marlene Gmelin und Detlef Schmelz haben 14 Marionettenspieler*innen aus ganz Deutschland das etwa 100-minütige Werk „Ein paar Grad Plus“ erarbeitet, das vom ersten Moment an mit mystischen, dennoch oft schlichten Bildern und einer gut gewählten, sparsamen akustischen und musikalischen Begleitung beeindruckt.

"Ein paar Grad plus" (c) PendelMarionetten, Marlene Gmelin und Detlef Schmelz

Zu Beginn steht der Freiheitsstatue das Wasser fast bis zum Hals. Gondeln fahren an ihr vorüber, von der New Yorker Stadtverwaltung aus Venedig importiert, um die Taxen zu ersetzen. „Es kann losgehen – Kamera läuft.“ In Form einer Fabel berichtet die Katze Janine Pfotenschnell fürs Fernsehen von der Klimakonferenz im UNO-Hauptquartier. Sie arbeitet sich Stockwerk für Stockwerk nach oben, um die jeweiligen Expert*innen zu befragen, die sich mit der Rettung der Erde bestens auskennen oder die wissen, wie man aus dem Klimawandel das Beste machen kann. Immer wieder stören Protestierende das Bild: „Wir sind hier wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut.“ Massive Regenfälle und Überschwemmungen auf der einen Seite, Dürre und Trockenheit auf der anderen. Ernteausfälle überall. Die Reiseexpertin empfiehlt „das klimaneutrale Eisbergsurfen bis zum Äquator“, das Tauchen „in die Grabkammern der Pharaonen“ oder „die Kreuzfahrt im Himalaya“. Dann ein Szenenwechsel. Im Stile der „Titanic“ sitzt ein Schweinchen Paar am Bug des Schiffes, als es zu einer Kollision mit einer Insel aus Plastikmüll kommt. „Keine Panik“ beruhigt die Lautsprecherdurchsage. Szenenwechsel. Der nächste Experte hält eine Eiswürfelmaschine für Pinguine bereit. Erneuter Szenenwechsel. Pinguine sitzen ratlos vor der Eismaschine, was mit den tierischen Marionetten sehr eindrucksvoll und herzergreifend gespielt wird.

"Ein paar Grad plus" (c) PendelMarionetten, Marlene Gmelin und Detlef Schmelz

Im Stile der guten alten Fabeln, in denen Tiere in die Rollen von Menschen gesteckt werden, entwickelt sich das Stück grandios weiter. Für jedes Problem gibt es ein*e Expert*in. Und dazu die jeweiligen Szenenwechsel. „Biologie und Chemie gehen Hand in Hand“ propagiert eine Ernährungsexpertin die Monokulturen. Gegen das damit verbundene Insektensterben hilft nur die Flucht. Über das Meer nach „Faltergonien“. Doch das gelobte Land wird von Insekten verteidigt, die der Meinung sind, dass „Faltergonien“ schon zu viele Insekten Einwohner*innen habe. Besonders beeindruckend der Atomwissenschaftler Ohnesorge – ein Schaf. Ausgebrannte Brennstäbe aus Atomkraftwerken sollten im Meer versenkt werden, damit sich das Meer erwärme und die Verdunstung dann den Niederschlag in den Dürreregionen erhöhen könne. In diesem Stil geht es Stockwerk für Stockwerk weiter. Vom Wolf erfährt man, dass „Wasser das neue Gold“ sei, ein paar Etagen weiter gibt es vom Esel „Geld Anlagetipps für Eintagsfliegen.“ Ganz hervorragend dargestellt. Wie im echten Leben möchte man meinen. Der Virus „C-O-V-19“ legt das Computersystem lahm. Hausmeister und Putzfrau, Ente und Gans, sind damit sichtlich überfordert.

Ein wunderbar gespieltes Stück, das durch die notwendigen Umbaupausen aufgrund der häufigen Szenenwechsel leider ziemlich an Fahrt verliert und dabei auch noch in die Länge gezogen wird. Die 84 (!) eingesetzten selbstgebauten Marionetten sind vom Allerfeinsten und auch das Spiel der 15 Protagonist*innen lässt kaum Wünsche offen. Die Geschichte selbst ist eine famos herausgearbeitete Fabel, die mit ihrem überraschend, dramaturgisch gesehen sehr gut gemachten Ende, eine deutliche Botschaft vermittelt: Wir werden alle untergehen. Auch wenn Esel, Wolf und Schaf sich mit ihrer vermeintlichen Expertise sicher fühlen.

Etwas schwer zu verdauen ist jedoch die Anzahl der dargestellten Problematiken. Im Stück werden sie sehr ansprechend und bisweilen in fast lyrisch anmutenden Bildern thematisiert, aber in ihrer Masse überfrachten sie das ansonsten hervorragend gestaltete Werk doch ein wenig. Wie auch die Frösche, die in einer an Baströckchen erinnernden Dekoration fast etwas zu klischeehaft einen afrikanisch anmutenden Regentanz aufführen. Wie bei jeder Fabel bleibt die Frage nach der moralischen Lehre. Für positiv denkende Menschen könnte sie lauten: Das Leben wird auch nach dem Klimawandel weiter gehen. Allerdings ohne uns.

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Festival der Marionette

19.-21. Mai 2023

Hohebuch/Waldenburg

Weitere Informationen zum Stück und zum Festival gibt es über die Website:

https://www.kunstform-marionette.eu/festivals/festival-der-marionette-2023/

1 Kommentar
Detlef Schmelz
30.05.2023

Ein paar Grad plus

Mit dieser Inszenierung wollten wir Jung und Alt erreichen und in Bezug auf das eigene Handeln nachdenklich stimmen. Heute erreicht uns dazu folgendes Feedback:
"Ich bedanke mich für dieses ausgezeichnete Stück "Klimakonferenz". Was Ihr da auf die Beine gestellt habt ist erste Sahne. Meine Tochter war mit ihren beiden Mädchen bei euch. Die beiden (5 und 7 Jahre alt) haben das lange Stück mit fast 100 Minuten fast atemlos und voll konzentriert aufgesogen. Sie haben dann auch alles andere mitgenommen und wollten gar nicht nach Hause gehen."

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