Figurentheater Chemnitz: „Wenn mich einer fragte“
„Wenn mich einer fragte…“ heißt die Uraufführung in Regie von Christoph Werner, in deren Vorfeld sich der Hauptdarsteller wochenlang in der ganzen Stadt plakativ präsent zeigte. Allerdings schaute nur das ältere Exemplar verschmitzt, aber unausgeschlafen, mit leicht geröteten Augen und dem wirr-grauem Haar von den Laternen. Darunter „Ihr Kandidat für Chemnitz 2018“ und „ADG“ als Label mit schwarzer Schrift auf goldenem Grund. Das steht für „Aufstand der Geschichten“, einem einwöchigen Festival, welches – wie schon das NSU-Festival „Unentdeckte Nachbarn“ vor zwei Jahren – auf maßgebliche Beteiligung der Chemnitzer Figurentheatersparte baute. Hier bekommt auch der junge Heym in der Inszenierung seinen Raum, dessen Chemnitzer Zeit schon vor den Pogromen, gleich nach dem NSDAP-Wahlerfolg, im Alter von 20 Jahren endete.
Sowohl der Reichs- als auch der Republik-Heym sind grandiose Puppen, von Hagen Tilp gebaut, und werden von je zwei Spielern geführt. Sie spielen, meist im lakonischen Zwiegespräch, Heyms Lebensgeschichte nach: einerseits die Chemnitzer Jugend, dargeboten von Claudia Acker und Sarah Wissner, in einer prosperierenden jüdischen Gemeinde, deren Konventionen den Freigeist schon nervten. Die Geschichte führt über Zeitungsschreiberei nach Flucht gen Berlin und später über Nacht per Zackenbahn via Riesengebirge ins Prager Kisch-Reich, später gen Paris und Portugal in die USA. Von dort kam er zurück: Als US-Soldat, der mit der Einnahme von Aachen wieder deutschen Boden betrat und nach dem Sieg mit seinem coolen italienischen Fahrer („Aber wir haben gewonnen!“) von Tschechien aus schon 1945 den eigentlich verbotenen Weg in die sowjetische Besatzungszone und die zerstörte Heimatstadt als Tagestrip vom Wohnhaus über die Schule und den Friedhof wagte – und rührend, aber reportagegerecht seine vergleichende Erinnerung darbietet. Dem gegenüber – ebenso beeindruckend wie dezent geführt von Karoline Hoffmann und Tobias Eisenkrämer – das alternde Alter Ego: immer noch galant, aber weit weiser, also jener Heym, der wirklich ein guter Kandidat für das erregte Chemnitz anno 2018 wäre. Regisseur Christoph Werner, Dessauer des Jahrganges 1964 und im Prinzip seit 1995 Künstlerischer Leiter am Puppentheater Halle/Saale, trifft zwei kluge Entscheidungen: Er nimmt sich, gemeinsam mit Dramaturgin Friederike Spindler, Heyms selbstgeschriebenen „Nachruf“ von 1988 als Hauptquelle, den dieser der Überlieferung nach als Antwort auf einen vorwitzigen amerikanischen Reporter lieber schnell selbst schrieb, und verzichtet auf die weitläufige Zwischengeschichte, die seinen Schriftsteller-Ruhm begründet. Und er lässt seinem jungen Quartett per kurzen Videoeinspielungen von Conny Klar deren Sicht der Dinge als Verweis zur Jetztzeit, zukommen, ohne diese als Kontrast wirken lassen zu wollen und bettet das Ganze in einen humanen Kontext, der berührt und zum Heym-Lesen verführt. Es entstehen 75 pausenlose Minuten als dramatische Ode an ein literarisches Denkmal, das man sich durchaus auch als Fassung für Schauspieler vorstellen kann.
Kein leichter Weg nach dem Fanal
Für jene, die Stefan Heym nur als von der PDS präsentierten Alterspräsidenten des zweiten gesamtdeutschen Bundestages kennen, der damals darob von der Presse offenbar in kompletter Unkenntnis von Werk und Leben mit Schmutzkübeln übergossen wurde, gibt das neue Werk Anlass wie Zeit zur Abbitte. Am besten mittels Nachlesen von dessen damaliger Rede plus Besuch von Stadt wie Figurentheater. Was man dazu wissen sollte: Vor dem Abbruch des diesjährigen Stadtfests aufgrund der Messerattacke mit den bekannten Folgen, war die Immer-noch-Industriestadt Chemnitz, welche die 875-Jahr-Feier nutzt, um sich für die europäische Kulturhauptstadtbewerbung 2025 warm zu laufen, weit vorn. Sowohl in Sachsen, wo sich außerdem noch Dresden und die spannende Dreiländereckregion mit Zittau an der Spitze bewerben, als auch im ganzen Osten, der mit fünf von acht Kandidaten antritt. Die Stadt kann sowohl in Ausrichtung wie Modernität als auch in Sachen Galerien und Bildender Kunst locker mit Nürnberg und Hannover mithalten. Doch nun gibt es den Chemnitz-Stempel als Fanal – und es geht fortan hauptsächlich extern ums Image und intern ums Reden. Das wird kein leichter Weg. Die Festivalmacher des Chemnitzer „Aufstand der Geschichten“ hatten ihr Programm so weise konzipiert, dass es sogar noch virulenter erschien, zumal die ganze Stadt kulturell eingebunden war. Hoffentlich noch lange im Spielplan bleiben wird dieser kluge Beitrag des Figurentheaters. Denn so lebt Heym in seinem Chemnitz weiter – sein eigener Stadtplatz liegt übrigens in Sichtweite zum Marx-Kopf und blumen- wie kerzengeschmücktem Tatort. Um auf Heym zurückzukommen, ein passendes Fazit: „Aber wir müssen schon versuchen, selbst etwas zu tun und zu zeigen, wer wir sind. Ich bin überzeugt, dann wird sich was ändern. Zu seufzen und zu jammern ist nicht genug.“
Netzinfos:
www.theater-chemnitz.de/spielplan/repertoire/infos/wenn-mich-einer-fragte/
https://aufstand-der-geschichten.de/
„Wenn mich einer fragte“ (UA) Ein Stück über Stefan Heym und Chemnitz
Regie: Christoph Werner Ausstattung: Angela Baumgart Puppenbau: Hagen Tilp
Video: Conny Klar Dramaturgie: Friederike Spindler
Es spielen: Claudia Acker, Tobias Eisenkrämer, Karoline Hoffmann und Sarah Wissner
Altersempfehlung: ab 15 Jahren
Premiere am 6. Oktober 2018, nächste Vorstellungen im Schauspielhaus Chemnitz (Kleine Bühne) am 29. Dezember sowie 17. & 18. Januar (je 20 Uhr)
Foto: nasser_hashemi
Figurentheater
ich habe gestern das Theaterstück "So glücklich, dass du Angst bekommst" gesehen. Es hat mich sehr beeindruckt und es ist wunderbar, dass auch diese (weitgehend unbekannten) Biographien erzählt werden. Kann das Stück nicht noch einmal aufgeführt werden? Bitte fragen Sie diese Frage die Darstellenden! Allein ich kenne viele Leute, die das interessiert und ich denke, der Saal füllt sich ganz locker noch einmal.
Und die "Vorgängerstücke" (Bsp. "Wenn mich einer fragte" ...) habe ich leider auch verpasst, da ich keine Chemnitzerin bin. Werden diese Stücke zumindest im Kulturhauptstadtjahr wiederholt?
Das fände ich toll.
Beste Grüße, Susanne Kath