Die aktuelle Kritik

Bößer & Szörenyi: „Die andere Vernunft - Rausch. Trance. Ekstase.“

Von Nele Beckmann

Im Weltkunstzimmer sezieren Bößer & Szörenyi die Wahrnehmung und schicken das Bewusstsein in ein Jenseits. Ein Experiment mit fließenden Grenzen durch Sinnesstimulation.

Das Ankommen in dem grottenartigen Setting der installativen Performance gleicht einem Initationsritus. Dumpfe Trommelschläge und sphärische Klänge erfüllen das mit Schaumstoffakustikmatten ausgelegte Weltkunstzimmer. Thomas Klein aka Sølyst arrangiert die den Raum durchdringenden Rhythmen live. Er trägt eine leuchtende Brille, wirkt irgendwie außerweltlich und hochkonzentriert.

Während die Gäste auf Socken eintreten und sich inmitten der Wellenlandschaft aus Matten niederlassen, stellt sich bereits ein nebliges Gefühl von Grenzen- und Orientierungslosigkeit ein. So ganz ohne vorgegebene Blickrichtung - umgeben von fremden Körpern. Vieles ist im diffus-fluiden Licht nur zu erahnen. In einer Nische flackern wabernde Schattenumrisse. Hinter - oder vor - uns ist eine in Plexi-Plane verkleidete Küche aufgebaut. Auf der anderen Seite werden antike Steinskulpturen in rituellen Körperhaltungen live an die Wand projiziert. Massiv und immateriell zugleich. Das Beobachtbare entzieht sich jeder Perspektive. Könnte vorne, könnte hinten, könnte menschlich oder rein materiell sein.

„Die andere Vernunft“, die zweite Zusammenarbeit der Performerin Karen Bößer und der bildenden Künstlerin Beatrix Szörenyi, folgt keiner Narrationslinie. Es erzählt nicht die Geschichte eines Entgleiten in eine veränderte Wahrnehmung. Vielmehr nimmt die aus zeitgenössischem Tanz und fließenden Materialien bestehende Mixed Media-Performance sein Publikum mit auf die Reise in tranceartige, transgressive Zustände. Das Geschehen kann dabei mitunter an verschiedenen Orten zugleich stattfinden, sich gegenseitig den Fokus rauben und überlappen. Dennoch passiert insgesamt, zumindest äußerlich, nicht viel. Ein Geruch verbreitet sich, ein Licht geht an, ein Geräusch ertönt. Das genügt.

Die Kraft der Performance liegt in der Einladung zum Versinken im Moment. Dem Moment, der Muster zeichnet, sich wölbt, zusammenzieht und ausdehnt, sobald er aus seiner Alltäglichkeit enthoben wird. Dabei bleibt der Blick mal an fließenden Farbbächen in Marshmallow-Masse, dann an tropfenden Schleimpfropfen, und schließlich wieder am zuckenden, schier kopflosen Körper hängen. Gewillt dazu sich zu vertiefen, im hypnotischen Sog aus Bewegungen und Formen, ist die Lenkung der Aufmerksamkeit nicht mehr frei steuerbar. Entscheidungsträge wirkt sie wie fremdgeleitet. Ähnlich dem immer noch bebendem Körper im Tanz, auf dessen Rücken sich nun Narben, Kleckse, und Höhlenmalereien abzeichnen. Ein anderer Impuls als der vergeistigte Verstand übernimmt die Kontrolle und propagiert Kontrollverlust – Der ja auch eine Entscheidung ist.

Um diese Erfahrung der Entgrenzung und des Versinkens zu transportieren hat sich das Team um „die andere Vernunft“ auf eine umfassende interdisziplinäre Recherche-Reise begeben. Neben zahlreichen Interviews, Bewegungs- und Materialstudien auch im Selbstversuch. So haben die Performerinnen an einer holotropen Atemsession teilgenommen, sich mit den Kölner Musiktherapeuten von Groovevision versucht in Trance zu tanzen und über lange Dauer schamanische Posen eingenommen. Mithilfe dieser Techniken wurde die Wahrnehmung auf der Suche nach einem erweiterten Bewusstsein zunächst auf eigene innere, körperliche Phänomene gelenkt um diese dann schließlich in Verbindung mit einer universalen Präsenz von „etwas Größerem“ zu setzten. Etwas, was über die Grenzen des Individuums hinausgeht, es aus der Welt enthebt und so Erfahrungen jenseits des vom Ego abgesteckten Tellerrands ermöglicht.

Ob eine Ahnung des Spirituellen, das uns das Selbst verlieren lässt, im Laufe der Performance präsent und spürbar wird, muss jeder Gast für sich selbst beurteilen. Schließlich ist die Performance geprägt von einer strukturellen Offenheit, die jegliches Gefühl und sämtliche Assoziationen zulässt. Sei es Verwirrung, Verneblung oder Verbundenheit. Nur das Ende kommt etwas plötzlich. Der Rausch endet auf seinem Höhepunkt. Etwas beklommen stolpert das Publikum aus der Versenkung an die Bar. Der Kopf wirkt entleert, Platz für neue Gedanken wurde geschaffen und der Austausch beginnt: „Was hat dich ver-zückt, ent-rückt?“



 

Foto: Susanne Diesner

Künstlerische Leitung, Choreografie, Performance: Karen Bößer
Mixed Media, Performance: Beatrix Szörenyi
Dramaturgie: Lise Brenner
Musik, Performance: Thomas Klein 
Installation: Dirk Dietrich Hennig / Bößer & Szörenyi
Projektmanagement: Petra Prahl
Produktion: karen boesser projects


0 Kommentare

Neuer Kommentar