Die aktuelle Kritik

Theater Waidspeicher Erfurt: "Die Glasmenagerie"

von Tobias Prüwer

Zu viel Realismus verstellt die emotionalen Möglichkeiten des Figurentheaters.

 

Fluchtpunkt: Einhorn

Und dann noch ein gläsernes Einhorn: Majestätisch schreitet das Fabeltier in die ebenso fantastische Szene und gesellt sich zu Hase, Löwe und anderen Tieren – allesamt aus Glas. Mehrfach kommen die transparenten Geschöpfe unter farbigem Licht zu den ästhetischen Höhepunkten der Inszenierung zusammen. Wie bei Prismen brechen sich die Strahlen an den Figuren, die sich wie eine Einfriedung um die junge Laura gruppieren und sich schützend zwischen diese und die Welt schieben.

Dass sich Tierszenen aus der „Glasmenagerie“ in der Erfurter Adaption von Tennessee Williams’ gleichnamigem Familiendrama so herausnehmen, liegt nicht allein am durchsichtigen Material der Figuren. Sie lösen sich vom Korsett des Realismus, in dem der Abend aus großer Puppenspielkunst und konventionellem Erzähltheater eingezwängt wirkt.

Zum Plot: Tom Wingfield berichtet in der Rückschau aus dem Zusammenleben mit seiner Mutter Amanda und Schwester Laura im St. Louis der 1930er-Jahre. Der Vater hat die Familie verlassen. Mit einem unbefriedigenden Lageristenjob hält Tom das Trio über Wasser, während er von der Freiheit der großen weiten Welt träumt. Amanda sorgt sich besonders um die schüchtern-entrückte Laura, die für die Berufswelt nicht geschaffen ist, aber auch nicht für die Partnersuche. Einzig in ihrer Glastiersammlung geht sie auf, die sie wie ein Fluchtpunkt um sich versammelt.

Die Figurentheaterversion bleibt nah an Williams. Hier wie dort tritt Tom als Erzähler auf. Das gelingt in Erfurt gut, weil sich der Spieler Martin Vogel als Erzähler neben der Bühne aufhält und dann durch eine Tür schlüpft, um die Tom-Figur im Wohnzimmerbühnenaufbau zu spielen. Hier ist aufwendiges Marionettenspiel bis ins Detail zu erleben. Unsichtbare – also schwarz gekleidete – Hände helfen den Marionetten dabei, ein Buch zu halten oder die Flasche anzusetzen, sie rücken Stühle etc. Man staunt über das perfekte Timing, aber Gefühl will sich nicht einstellen. Und es ist keine bewusst depressive Blässe à la Edward Hopper, hier springt einfach der Funke nicht über. Tom ist als tragende Figur eben besonders als Mensch – nicht im Figureneinsatz – überzeugend. Wenn Lauras Spielerin mit dem Gentleman-Besucher ein Tänzchen wagt, ist auch plötzlich Emotionalität da, die das Figurenspiel nicht leisten kann.

So hat sich die Inszenierung des international bekannten Regisseurs Eric Bass der Figurentheatermöglichkeit beschnitten, gerade über Abstraktion einen expressiven Überschuss zu erschaffen. Hier wohnt man der Fortführung des Sprechtheaters an der Rampe mit anderen Mitteln bei. Das fügt sich alles ganz hübsch zusammen, Projektionen, geraffte Szenen mit Off-Dialogen, Licht- und Akustikeffekte tun das ihre. Was dieser klassische Stadttheateransatz auf einer Figurenbühne soll – die ihn noch dazu via Realismus nicht zu erfüllen vermag –, erschließt sich am Abend, der hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt, nicht.

Premiere: 26.Juni 2015

 

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