Die aktuelle Kritik

Figurentheater Ute Kahmann, Berlin: „Rosa haut ab / roza farar mikonad“

Von Tom Mustroph

Abhauen mit Eselin: Ute Kahmann gelingt mit „Rosa haut ab“ ein berührendes zweisprachiges Puppenspielstück zum Thema Flucht.

Wer auf der Greifswalder Straße in Berlin zukünftig verstärkt „I-Aaah!“-Rufe hört, muss sich nicht wundern: Sie stammen ursprünglich von Rosa, der Protagonistin des Stücks „Rosa haut ab“ vom Figurentheater Ute Kahmann. Es hatte gerade Premiere in der Berliner Schaubude und das „I-Aaah“ von Rosa erscholl nach der Vorstellung noch lange aus den Mündern vieler Kinder, aber auch so manch erwachsener Begleitperson. Ja, diese Eselin eroberte die Herzen im Sturm!

Rosa hat einen großen länglichen Kopf, aus dem zwei große dunkle Augen hervorschauen. Die langen grauen Ohren sind keck in die Höhe gerichtet. Und was am meisten auffällt, ist das große Maul mit der roten Zunge, das sich immer öffnet und schließt, wenn Puppenspielerin Ute Kahmann dieser Klappmaulpuppe Worte verleiht. Worte, das darf man verraten, hat Rosa viele in diesem Stück.

Es geht schließlich um sie, um ihre Flucht von dem Bauernhof, auf dem sie lebt. Eigentlich hat sie es nicht schlecht dort. Besonders Filo macht es ihr leicht. Filo arbeitet auf dem Bauernhof. Er macht den Dreck weg, auch den von Rosa, und er krault sie sogar. Gekrault werden ist für diese Eselin wichtig. Eines Tages aber ist Filo weg. Er ist abgehauen in ein Land, von dem er sich ein besseres Leben verspricht. Eigentlich hatten Filo und Rosa gemeinsam weggehen wollen. Dann aber traute sich Rosa nicht. Oder sie war zu bequem. Oder der Druck, wegzugehen, war bei ihr nicht so groß wie bei Filo.

Fluchtgründe sind vielschichtig. Das wird gern übersehen, vor allem in Gesellschaften, die nur bestimmte Arten von Fluchtgründen prämieren, mit der Asylgesetzgebung etwa. Gründe, nicht zu fliehen, sind ebenfalls vielschichtig. Sie werden seltener diskutiert. Und wenn, dann werden sie gern in Stellung gebracht gegen die, die mutiger sind, tatkräftiger, abenteuerlustiger vielleicht auch, oder verzweifelter. Gegen die, die fliehen, also. Im Figurengefüge von „Rosa haut ab“ ist Filo der mutigere, oder auch der verzweifeltere. Filo taucht nicht in Gestalt einer Puppe auf. Vielmehr erscheint der Performer Raman Zaya im Videochat. Zaya spricht persisch. Rosa versteht ihn natürlich. Von wo nach wo Zaya seine Figur Filo gehen lässt, bleibt ungewiss. Verlässt Filo den geografischen Raum, in dem persisch gesprochen wird? Oder kehrt er zu ihm zurück? Ist er ein Fremder auf dem Hof von Rosa, den das Heimweh und die Kälte der ihn umgebenden Gesellschaft in eine als wärmer empfundene alte Heimat zurücktreiben? Oder bricht er zu neuen Ufern auf? Liegt der Bauernhof im Iran und befindet sich das gelobte Land in Europa? Oder liegt der Bauernhof im Heimatgebiet der Deutsch sprechenden Eselin Rosa und Filo sucht das gelobte Land ganz woanders, an einem dritten Ort?

All dies bleibt unscharf, ungewiss, in der Schwebe. Das ist keine Schwäche des Stücks, eher eine Stärke, weil es das ganze Themenfeld Flucht noch einmal neu auffächert. Auch der Einsatz des Persischen ist eine Stärke. Nicht immer alles verstehen können, sich durchnavigieren müssen – das gehört zum Leben, zu dem von Geflüchteten sowieso, zu dem von Ortsansässigen immer mehr. Die anwesenden Kinder bei den Vorstellungen in der Berliner Schaubude jedenfalls hatten mit der Zweisprachigkeit offenbar keine Probleme. Sie folgten der Geschichte, reagierten, mischten sich mit Zwischenrufen ein. Rosa flieht dann schließlich auch. Ihr droht die Verarbeitung zu Eselssalami – ein etwas drastischer Umschwung in der Erzählung. Sie folgt den Spuren von Filo, hält dabei immer wieder Kontakt per Videochat mit ihm. Das ist ein realistisches Element aktueller Fluchten. Rosa überwindet Grenzen, umgeht Berge, durchquert Flüsse. Besonders bei der Flussüberquerung wird auch das komödiantische Talent der Performerin Kahmann deutlich.

Eine zweite Erzählebene wird mit Flachfiguren etabliert. Rosa taucht als eine solche auf, der böse Bauer auch, eine Busreisegesellschaft, die Rosa mitnimmt, ebenfalls.

Das Finale wird wieder per Video erzählt. Eine bunt schillernde Vogelfigur (Zeichnungen: Mayka von May) heißt Rosa schließlich willkommen. Sie erklärt ihr die neue Gemeinschaft und führt in deren Regeln ein. Vor allem aber ist Filo auch da. Fotos, die beide beim Necken, Kraulen und Lachen zeigen, bilden die letzte Sequenz des Spiels.

Dem Team um Kahmann und Zaya ist ein berührendes Stück gelungen. Biografische Erfahrungen der beiden Performer*innen – Kahmann verließ mit Ausreiseantrag die DDR, Zaya floh aus dem Iran – fließen in die Erzählungen ein. Regisseurin Heike Scharpff baute ein szenisches Gerüst dafür. Die Bühne (Werner Wallner, Joost van der Welden) enthält wenige, aber gut ausgewählte Elemente. Ein grüner Hügel ist zu sehen, ein Vorhang aus glitzernden Fäden, der zugleich Projektionsfläche wird, außerdem ein abstrakter Birnbaum. Die Inszenierung ist für Menschen ab 5 Jahren gedacht. Ihr ist zu wünschen, viel gespielt zu werden. Die vermehrten „I-Aaah“-Rufe nach der Vorstellung wird die Realwelt schon vertragen.

 

Premiere: 20.11.2021

Weitere Vorstellungen: 24.-27. Februar 2022, Schaubude Berlin

Puppenspiel, Text: Ute Kahmann,
Performer Projektion, Text, Video: Raman Zaya
Regie: Heike Scharpff,
Puppenbau: United Puppets, Maarit Kreuzinger
Puppencoaching: Christiane Klatt,
Musik: Ansgar Tappert,
Kostüm: Lena Buchwald,
Zeichnungen: Mayka von May,
Bühnenbau: Werner Wallner, Joost van der Velden
Fotografie: Marcus Lieberenz,
Theaterpädagogisches Material: Lorenz Hippe
Produktion: Kahmann & Scharpff GbR

Gefördert von: Hauptstadtkulturfonds, Unterstützt von: Schaubude Berlin

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