Die aktuelle Kritik

Ho Tzu Nyen: The Mysterious Lai Teck

von Jurgita Imbrasaite

Wasser im Wasser - ein Signifikant der Metamorphose. Kampnagel zeigt im Rahmen seines Internationalen Sommerfestivals 2018 die Weltpremiere der performativen Multimedia-Arbeit.

Eine männliche Stimme beginnt eine seltsame Erzählung. Er spricht in der Ich-Form, doch er weiß über sich selbst nur das, was über ihn geschrieben wurde. Die weißen Bühnenvorhänge setzten sich derweil in Bewegung, rhythmisch öffnen sich ein, zwei, drei und bestimmt noch weitere 100 Vorhänge, eröffnet wird jedoch wenig - was darunter liegt, ist nur eine weitere Schicht.

Dass diese Bewegung nur eine Verdoppelung, eine Projektion auf die tatsächlich geschlossenen Vorhänge ist, weiß man von Anfang an. Der Versuch zielt nicht auf eine Illusion, sondern verweist auf die zwiebelartige Textur des Abends und erklärt den Vorhang zum Mitspieler. Immer wieder weht ein Windhauch durch die Stoffbahn. Gleich einer sanften Reminiszenz an den Sturm, „der vom Paradise weht“ in Walter Benjamins „Angelus Novus“, zieht die Geschichte in den Theaterraum ein.1

Die Puppe als Leinwand

Das neue Bühnenprojekt „The Mysterious Lai Teck“ des Multimedia-Künstlers aus Singapur Ho Tzu Nyen feierte am 09. August im Rahmen des Internationalen Sommerfestivals 2018 auf Kampnagel Hamburg seine Weltpremiere. Erneut2 widmet sich Nyen dem chinesisch-vietnamesischen Mann, der als Generalsekretär der Malaiischen Kommunistischen Partei „Lai Teck“ in die Geschichte eingegangen ist. Wie Lai Teck tatsächlich hieß, ist nicht eindeutig3, so wie das Meiste über sein Leben. Es wird erzählt, dass er sich früh und mit großer Intensität dem Kommunismus gewidmet hat, aber sicher ist nur, dass er zum Tripple-Agenten für antikommunistische Kolonialmächte geworden ist.4 Begleitet durch die Musik von dem Hamburger Experimentalmusiker Black to Comm entfaltet sich ein Abend mit eher statischem szenischem Ablauf und doch so voller Performativität. Nyen führt uns poetisch durch „ein Leben wie Wasser im Wasser“5 und wägt die Frage „was ist ein Verräter“ aus einer postkolonialen Perspektive ab.

Wenn in „The Nameless“ (2014) Nyen die Figur Lai Teck noch aus diversen Filmszenen mit dem Stardarsteller Tony Leung Chiu Wai zusammensetzte und dem Ungreifbaren ein Schauspielergesicht verliehen hat, so wird bei dieser Theaterarbeit ganz auf menschliche Akteure auf der Bühne verzichtet. Der Namenlose wird zum Gesichtslosen Signifikaten seiner Geschichte. Auch nachdem der Blick auf den abgeschirmten Bühnenraum schließlich freigegeben wird, bleibt eine Flächigkeit bestehen. Eine überlebensgroße männliche Puppe in einem weißen Hemd sitzt an einem Tisch mit einem Stift in der Hand. Ihre Bewegungen sind minimal und etwas ruckartig6. Das Gesicht der Puppe wird stets von einer Videoprojektion eines anderen Gesichts überschattet. Die Projektion scheint die Gesichtszüge der Puppe zu suchen und nie ganz zu finden. Wie der Bühnenvorhang, so wird auch die Puppe zu einer Leinwand. Das Dahinter stellt sich als unerreichbar oder nicht vorhanden heraus.

Ho Tzu Nyen erlangte internationale Aufmerksamkeit für seine Beschäftigung mit der Geschichte Südostasiens und seiner Heimatstadt Singapur in Projekten, die meist neue Technologien, mythische Erzählungen und traditionelle Darstellungsmittel (wie das Schattenspiel oder Puppenspiel) in Juxtaposition bringt. Die zentrale Frage, die den Künstler durch seine Projekte hindurch begleitet, betrifft die Geschichtserzählung selbst. In einer Region, wo sich, laut Nyen, keine Sprache mehr wie die eigene anfühlt und wo Geschichte durch koloniale Ausradierung und Überschreibung konstituiert wird, sucht der Künstler nach etwas, das vereint. Die Figur des Verräters bietet hier eine seltsame Möglichkeit, die überlagerten und verwässerten Stränge einer Region, die heute unter ihrem kolonialen Namen Südostasien subsumiert wird, zu bündeln. Durch die völlige Überschreibung seiner Identität, durch Verflüssigung seiner Grenzen ist Lai Teck eine Art Ghostwriter7 einer Geschichte der Metamorphosen und ein Signifikant für den darin nicht aufgehenden Rest.

 

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1 In einem kurzen, doch sehr prägnanten Absatz beschreibt Walter Benjamin ein Bild von Paul Klee mit dem Titel „Angelus Novus“. Auf dem Bild ist ein Engel mit aufgespannten Flügeln dargestellt. „Der Engel der Geschichte muß so aussehen“ schreibt Benjamin. Der Engel ist in dieser Bildbeschreibung mit dem Gesicht der Vergangenheit zugewandt und möchte „das Zerschlagene zusammenfügen“. Aber ein Sturm, den Benjamin als „Fortschritt“ identifiziert, hat sich in seinen Flügeln verfangen und treibt den Engel in die Zukunft. Benjamin, Walter: Über den Begriff der Geschichte, These IX in [Hg.] Gödde, Christoph; Lonitz, Henri:Gesammelte Briefe, Band II, Frankfurt/Main, 2000, S. 93

2 “Lai Teck“ wird bereits in Hon Tzu Nyens  Langzeitprojekt „The Critical Dictionary of South-East Asia“ (https://cdosea.org) verhandelt. Im Setting eines westlichen Alphabets, sammelt Nyen filmisches Material, Geräusche, Biographien, Methapern und übersehene oder verdrängte Narrative um die zerrüttete postkoloniale Gegenwart Südostasiens jenseits offizieller Geschichtsschreibung zu identifizieren. L steht für Lai Teck; „The Nameless“ ist ein Filmprojekt, welches im 2014 explizit Lai Teck gewidmet wurde. Ursprünglich für die 2014 Shanghai Biennale geplant, konnte es aufgrund chinesischer Zensur dort nicht gezeigt werden. Beide Arbeiten sind bis zum 7. Oktober im Kulturverein Hamburg bei im Rahmen der Ausstellung „The Critical Dictionary of Southeast Asia – Vol 3: N for Names“ zu sehen.

3 Folgende Namen werden als mögliche erwähnt: Truong Phuoc Dat; Nguyen Van Long; Hoang A Nhac; Pham Van Dac. Vgl.: Nyen, Ho Tzu: L for Lai Teck, in: Hearings. The Online Journal of Contour Biennale, Februar 2017, http://hearings.contour8.be/2017/02/23/l-lai-teck/

4 In den 1920er Jahren hat er für die Französischen Nachrichtendienste in Französisch Indochina (Vietnam) spioniert. Nachdem er aufgeflogen ist, wurde er von dem britischen Special Branch übernommen und in die Malaiische Kommunistische Partei in Singapur infiltriert. Während der japanischen Okkupation in Singapur 1942-5 wurde er verhaftet und angeboten auch der japanischen kampetei (geheimen Polizei) als Agent seine Dienste zu leisten. Vgl.: Comber, Leon: 'Traitor of all Traitors'—Secret Agent "Extraordinaire": Lai Teck, Secretary-General, Communist Party of Malaya (1939-1947), in: Journal of the Malaysian Branch of the Royal Asiatic Society, Vol. 83, No. 2 (299) (December 2010), pp. 1-25

5 Zitat aus „The Mysterious Lai Teck“, 09.08.2018 Kampnagel Hamburg

6 In dem Publikumsgespräch nach der Premiere von „The Mysterious Lai Teck“ am 09.08.2018 erzählte Ho Tzu Nyen, dass die Bewegungen der Puppe Mustern folgen, die zwei befreundete Choreographen für Ihn vorperformt haben, und dass die mechanisch wirkende Ruckartigkeit, die Intention der Choreographie gewesen ist.

7 G for Ghostwriter, „Critical Dictionary of South-East Asia”, https://cdosea.org

 

Foto: Anja Beutler

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