Die aktuelle Kritik

Schaubude Berlin: "Salome"

von Tom Mustroph

Ein Messie-Opus der Kompanie Handmaids zur Geschichte der Antike-Lolita.

 

Salome und die Papiermonster

Am Anfang ist das Papier. Unter einem riesigen Berg zerknüllten Papiers arbeiten sich die drei Handmaids Astrid Kjær Jensen, Sabine Mittelhammer und Ulrike Langenbein an die Oberfläche. Sie suchen und wühlen, tauchen ab in das Papiermeer und fördern schließlich eine winzige Figur zutage. Die wird behutsam vierhändig bewegt - ein köstlicher Aufwand, der jede Figurenspieleffektivitätsrechnung ad absurdum führt. Dann wird sie einem Taschenlampenlichtkegel zugeführt, so dass sie sich mal erleuchtet, mal nur beleuchtet fühlen darf.

Dies ist ein schönes Entree für die Salome-Geschichte. Ein zweites Vorspiel gibt es auch noch: Einen Sieben-Schleier-Tanz, angelegt als Frauen-Tanz-Fühl-Workshop, der im Publikum das glockenhelle Lachen mancher Wissenden auslöst. Spätestens hier haben die Handmaids, inszeniert dieses Mal von Astrid Griesbach, die Herzen ihrer Zuschauerschaft erobert. Ihr (Spiel-)Pulver haben sie damit freilich noch längst nicht verschossen.

Der Palast des Herodes entsteht vor aller Augen vor allem dank einer beherzten Figurenaufstellung der Personage. Ein Griff in den Papierhaufen - und schon entsteht aus den Fetzen ein Höfling, dessen Snobismus dem Versailles Ludwig XIV. nachempfunden ist. Ein weiterer Griff ins raschelnde Zellulose-Universum, und ein zarter syrischer Diener erblickt das Lebenslicht. Er wird später geopfert; kurz brechen hier die Weltnachrichten ins muntere Schauspiel hinein. Grandios schließlich die Gestalt des Herodes. Herrscher, Realpolitiker, Lustmolch, legendärer Kindertöter - er erscheint als gewaltige Papierfetzenkomposition hinter einem Schattenspielschirm und wirft Schatten, die mal an einen züngelnden Medusenkopf erinnern, sich mal zu einem behelmten Streiter formen und schließlich sich in wirrem Wahn selbst dekonfigurieren.

Auch Alltagsszenen im Palast sind eingeflochten. Die Handmaids schrubben als Putzkolonne in ihrer menschlichen Gestalt den Boden und fachsimpeln im Dialekt über Blutflecken, die einfach immer wiederkommen. Salome und ihre Mutter Herodias verwickeln sich später in Eifersuchts- und Kleideraustausch-Spiele.

Der wilde Wechsel der Spielmodi sorgt für immer neue Reize. Mal entstehen die Figuren blitzschnell aus einer flugs gegriffenen Papierbahn, dann wieder wird das Papier sorgsam geordnet und verbindet sich mit dem Körper einer Spielerin zu einem übermenschengroßen Analog-Cyborg, zuweilen übernehmen auch die Spielerinnen selbst, ganz ohne Objekte, unterstützt nur durch so schöne wie funktionale Kostüme und eine gut akzentuierende Maske (Ausstattung: Verena Waldmüller), die Handlung. Das begeistert.

Ebenso die immer neuen Perspektiven, aus denen die Geschichte beleuchtet wird. Johannes der Täufer, dessen Kopf die verliebte und in ihrer Liebe abgewiesene Salome schließlich fordern wird - hier schreiben die Handmaids mal flugs die biblische Überlieferungsgeschichte ein wenig um - ist mal versteckt im Inneren der großen Papierrolle, von der immer neues Material zum Fluten der Bühne herkommt. Dann wieder wächst er zur übergroßen, androidenhaften Metallfigur, die in einer Bühnenecke auf ihren Einsatz wartet. Der berühmte Tanz, mit dem Salome die Sinne aller Männer inklusive Opa Herodes und wohl auch mancher Frauen benebelte, so dass der kollektive Prophetentötungsrausch von ihnen überhaupt Besitz ergreifen konnte, findet schließlich in Form einer großen Papierwolkenturbulenz statt. Ein Höhepunkt, fürwahr.

Liegen dann die Papierfetzen wieder auf dem Boden, ist der Applaus verklungen und sind auch die sich die gesamte Aufführung über in wild-fröhlicher Bewegung befunden habenden Gesichtsmuskeln ein wenig beruhigt, setzt freilich das Erstaunen ein. Denn eigentlich haben die Handmaids nur von einer verwöhnten Heranwachsenden erzählt, die erstmals die Sexualhormone in sich arbeiten fühlt und die großväterliche Macht nutzt, sich für die erfahrene Ablehnung auf grausame Weise zu rächen. Eine Großlegende ist hier auf Mädchenzimmerformat geschrumpft.

Auch wirkt beim Wiedergewärtigen der Performance der Wechsel der Spielmodi doch ein wenig ungefügt; manch Probenergebnis wünscht man sich etwas modulierter, gezähmter, um im Kontrast der anderen Teilszene mehr Raum zu geben - Dramaturgenfeinschliff eben. Insgesamt aber steckt die Spielfreude an. Der Gebrauch des Materials Papier ist äußerst einfallsreich, und die Verbindung mit Formen des Schauspielerkörper-Schauspiels funktioniert. Eine Produktion also, der man - trotz und auch wegen des Mädchenzimmer-Messie-Formats - unendlich viele Aufführungen wünscht.

 

Premiere: 2. Oktober 2015

 

Foto: Ulrike Langenbein

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