Die aktuelle Kritik

Puppentheater Magdeburg: Zwei Inszenierungen für junges Publikum

Von Sivlia Brendenal

"Geschichte vom kleinen Onkel" und "Die Meerjungfrau in der Badewanne".

 

"Geschichte vom kleinen Onkel“           

„Die Meerjungfrau in der Badewanne“

Fotos Jesko Döring

 

Vom Zuschauen und Zuhören

Kurz hintereinander bot sich die Möglichkeit, zwei Aufführungen für Menschen ab 4 bzw. 6 Jahren am Puppentheater Magdeburg zu sehen. Was zunächst ein Zufall war, erwies sich schon bald als schöpferische Provokation.

Sowohl die eine als auch die andere Inszenierung basiert auf einem bekannten Kinderbuch und obgleich beide in ihrer Theatersprache unterschiedlicher nicht sein können, scheint sich jede zum Ziel gesetzt zu haben, ein künstlerisch faszinierendes Exempel in Sachen Zuschaukunst zu schaffen.

„Die Geschichte vom kleinen Onkel“ ist schnell erzählt: Der Onkel, klein und rundlich, entspricht in keiner Weise heutigen Schönheitsidealen, genügt auch kaum den Anforderungen an Geschäftstüchtigkeit und Lebens-Cleverness. Folglich ist er einsam. Ausgestoßen trottet er am Rande der Gesellschaft vor sich hin, bis er schließlich die Idee hat, sich öffentlich und offensiv einen Freund zu suchen. Dass der gefundene Hundefreund dann auch noch eine Menschenfreundin mit sich bringt, ist glückvolles Happyend dieser Story. Ein Happyend, das die Kinder und wohl auch die Erwachsenen für einen Moment wohlig glauben lässt, dass die Welt veränderbar ist.
Natürlich waren sich die Macher (Gerhild Reinhold, Susanne Søgaard, Astrid Kjaer Jensen, Frank A. Engel) der von ihnen szenisch behaupteten Illusion bewusst, dennoch schienen auch sie einem Traum zu folgen. Dem Traum, die immer flüchtiger werdende Aufmerksamkeit für den Augenblick einer Theateraufführung zu bannen, allein indem sie das Publikum herausfordern, den Bildern einer sprachlosen Inszenierung zu folgen, zu Interpreten eines Blicks, einer Geste zu werden, zu Mitfühlenden eines kleinen, einsamen Onkels. Und sie schaffen dies durch ein Spiel, das ganz bewusst den Aspekt des Machens betont. Denn die Akteure (zu denen auch der Licht- und der Tontechniker, beide offen am Bühnenportal sitzend, gehören) sind’s, die das Spielgeschehen bestimmen. Sie bauen die menschenfeindliche Hochhauswelt, deren Hektik und Präzisionswahn sie ebenso ausgesetzt sind wie die in ihr agierenden Puppen, sie sind es auch, die den Wald installieren und mit ihm die Ruhe einziehen lassen, die nunmehr jede Aktion trägt. Die schwarz gekleideten, Basekaps tragenden Darsteller sind gleichermaßen Manipulierende wie Manipulierte, sind – und das vor allem – hervorragende Puppenspieler. Welche Kraft, welche Brillanz diese offenkundig gut zu animierenden Puppen (Gestaltung Barbara Weinhold) auf ihrer Podestbühne (Sven Nahrstedt) entwickeln ist schlicht und einfach faszinierend. Jeder Schritt, jeder Atemzug, jeder Hauch von Traurig- oder Heiterkeit des kleinen Onkels wird erlebbar und selbst wenn er abhebt zum Flug ins Überschwängliche, lässt er keinen der Zuschauer auf dem Boden der Realität zurück. Diese Inszenierung, die zweite Regiearbeit von Nis Søgaard, gibt dem kleinen Onkel und mit ihm dem Theaterspiel eine Chance. Die: erkannt zu werden.

Auch die Inszenierung „Die Meerjungfrau in der Badewanne“ in der Regie von Frank Bernhard nutzt die Mittel des Theaters auf ganz eigene, zwingende Weise. Die Bühne reduziert die Stationen des szenischen Geschehens auf vier theatralische Tableaus. Pop-up-Büchern gleich werden da Erinnerung als kleine, papierne Welten aufgeklappt, nur sparsam werden die auf Silhouetten reduzierten Puppen in den so entstehenden Räumen animiert (Puppen/Ausstattung Frank Engel). Animiert von jenem jungen Mann (Leo Schubert), der eben noch Schutz suchend – und findend – in einem kokonähnlichen Gebilde hing und nun zaghaft beginnt, den Zuschauern seine Geschichte zu erzählen. Es ist die Geschichte eines Kindes, das versucht, den Tod seiner Mutter zu begreifen, zu verstehen: Sie ging eines Tages, als ihr Kind noch klein war, zum Meer und kehrte nicht zurück.
In dieser szenischen Adaption des Kinderbuches von Koos Meinderts wird Poesie zur Überlebensstrategie. Das Spiel mit den Worten, mit der Wirklichkeit – als eine Form sie zu akzeptieren – gibt auf indirekte Weise dem Schmerz, der Angst vor Verlust ein Gesicht. Ein vielgestaltiges Gesicht, das die lebenslang auf ihren Liebsten wartende Schwarze Witwe ebenso trägt wie Philipp, der sich immer wieder in die Düne flüchtet, um dort bei sich und der Mutter zu sein.
Die bildnerische Kargheit, die Reduktion auf ausgewählte, spielerisch vermittelte Situationen, verführt die kleinen und großen Zuschauer, ihre Aufmerksamkeit auf das gesprochene Wort zu richten, letztlich Philipp zuzuhören. Und so braucht auch diese Inszenierung das gedankliche, phantasievolle Mitspiel der Zuschauenden bzw. Zuhörenden, um sich als künstlerisches Ganzes zu vervollkommnen.


Puppentheater Magdeburg:

»Die Geschichte vom kleinen Onkel«
nach der Bildergeschichte von Barbro Lindgren-Enskog für Menschen ab 4
Regie Nis Søgaard
Puppen Barbara Weinhold
Bühne Sven Nahrstedt
Spiel Gerhild Reinhold, Susanne Søgaard, Astrid Kjaer Jensen, Frank A. Engel

»Die Meerjungfrau in der Badewanne«
von Tim Sandweg nach Koos Meinderts für Menschen ab 6
Regie Frank Bernhardt
Puppen/Ausstattung Frank A. Engel
Spiel Leo Schubert
Premiere am 11. Februar 2012

 

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In Zusammenarbeit mit double - Magazin für Figuren- Puppen- und Objekttheater

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