Die aktuelle Kritik

Theater Waidspeicher e. V. Erfurt: „Der Meister und Margarita“

Von Michael Plote

Michail Bulgakows Roman als sinnlich überbordende Inszenierung.

Diese sinnlich überbordende Inszenierung von Frank Alexander Engel (Regie) und Kerstin Schmidt (Bühne, Puppen, Kostüme) ist wie ein wilder Traum. Immer mehr und immer neue Bilder und Videos. Immer mehr und immer andere Töne, Geräusche und Klänge (von Christian Claas). Immer wieder wechseln Tempo und Rhythmus, mal gehetzt, mal gebremst durch Zeit und Raum. Immer andere und neue Geschichten flackern auf: vom Teufel und seiner Geliebten, vom Schriftsteller, der über Pontius Pilatus schreibt, vom Kater, der eine Schapka trägt.

Das Theater Waidspeicher in Erfurt verfolgt das ehrgeizige Ziel, immer wieder Weltliteratur auf die Bühne zu holen. In der Thüringer Landeshauptstadt gibt es seit 16 Jahren kein professionelles Schauspiel mehr. Die Lust des Publikums darauf ist aber sehr groß. Also inszenieren sie nach dem Weltbestseller von Michail Bulgakow „Der Meister und Margarita“ mit Schauspielern, mit Flachfiguren und mit einem fetten, schwarzen Kater als Handpuppe. Die Textfassung für die Bühne liefert Regisseur Engel gleich mit.

Für die faustische Geschichte nimmt Frank Alexander Engel den Klassiker Goethe beim Wort. Der berühmte Monolog im „Faust“, erster Teil, „Habe nun, ach!“ kulminiert in Fausts Ausruf „Welch Schauspiel! Aber ach! Ein Schauspiel nur!“ Ein furioses Schauspiel mit fünf Schauspielern, die ab und an selbst aus der Puppenkiste herausschauen. Die Rundköpfe der Menschen und die Flachköpfe der Marionetten toben und taumeln durch die Moskauer Nächte und die Träume des Zuschauers.

Die Liebesgeschichte des Meisters mit Margarita steckt den Rahmen ab. Ist das nur so dahergesagt, „Ich habe sie schon immer geliebt“? Paul Günther ist ein kühler Liebhaber und ein machtbewußter Prokurator, den spielt er auch. Die kleinen Flachfiguren schrumpfen in der Puppenkiste und mit der zunehmenden räumlichen Distanz des Zuschauers zur Bühne ins Unscheinbare. Sie verschwinden irgendwie gegen die übermächtigen, lebensgroßen Schauspieler-Figuren. Margarita, Karoline Vogel, auch Jeshua, salbt sich zur nackten Hexe, tanzt und fliegt atemberaubend durch das nächtliche Moskau, ein magischer Moment. Der Zauber von Theater und Imagination leuchtet hier ganz hell auf.

Tomas Mielentz, der Kater Behemot mit Schapka und manchmal mit Handpuppe, gibt den hintersinnigen Witzbold, brummt und miaut und fährt Straßenbahn. Voland, Martin Vogel, philosophiert über „Gott und die Welt“. Jesus existiert, Gott auch. Das Spiel ist so skurril und schrill. Im Varieté lässt er die Rubelscheine virtuell verschwinden und vollführt billige Taschenspielertricks. Die Flachfiguren können sich drehen und wenden, wie sie wollen. Sie sehen von vorn und hinten alle gleich, klein und flach aus. Der Kopf des Vorsitzenden von „Massolit“, dieses exklusiven Moskauer Literaturklubs, ist abgetrennt. Der kopflose Berlioz, Kathrin Blüchert, träumt sich und taumelt durch die Moskauer Nomenklatura.

Das bräunlich getäfelte Büro mit Stalin-Porträt bildet den Bühnenhintergrund, die Folie für das Moskau der 1930er-Jahre, für die Traumebene und für die Sequenzen der Pilatus-Geschichte. Der ästhetisch abstoßende Hintergrund wird temporär virtuell überblendet, wenn das Varieté aufleuchtet oder eine andere Szene bildmächtig aufgeladen wird. Dann werden, ganz im Sinne von Goethes „Faust“, „Prospekte nicht und nicht Maschinen“ geschont.

Was bleibt und was vergeht von diesem Schauspiel mit Flachfiguren und einem fetten Kater? Das ist eine Inszenierung für alle Sinne, die ganz viele und unterschiedliche emotionale Reaktionen beim Publikum hervorruft. Die Sinnhaftigkeit der Dialoge und Geschichten geht ein bisschen verloren. Auf der Rückseite des Stalin-Porträts steht der verblassende Schriftzug „Das größte Laster der Menschheit ist die Feigheit.“ Bis zur „Freiheit“ der Menschen muss nur ein Buchstabe ausgetauscht und nach vorn verrückt werden. Dazwischen liegen Welten.

 

Der Meister und Margarita
von Michail Bulgakow, aus dem Russischen von Thomas Reschke

Puppentheater ab 16 Jahre

 

Es spielen:
Paul Günther
Karoline Vogel

Tomas Mielentz
Martin Vogel
Kathrin Blüchert

Regie:
Frank Alexander Engel

Bühne / Puppen / Kostüme:
Kerstin Schmidt und Frank Alexander Engel

Komposition, Sound und Musikalische Einstudierung:   
Christian Claas

Dramaturgie:
Susanne Koschig

Regiehospitanz:
Tamina Ferber

Technische Leitung:
Andreas Herrlich

Technische Einrichtung:
Thomas Gräbner

Licht:
Andreas Herrlich

Ton:
Hartmut Wagner

Video:
Felix Bauer

Premiere:
Freitag, 22. Februar 2019

www.waidspeicher.de

Szenenfotos: Lutz Edelhoff

 

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