Die aktuelle Kritik

Familie Flöz: Dr Nest

Von Arnim Bauer

Eine Parabel auf das Seelenleben der Menschen am Stuttgarter Theaterhaus.

„Dr. Nest“ heißt das neue Programm von Familie Flöz, das im Stuttgarter Theaterhaus zum ersten Mal, noch als Preview deklariert, zu sehen war. Ob nun Premiere (die ist offiziell am 28. März in Berlin) oder Vorpremiere, Michael Vogel, Autor und Co- Regisseur des neuen Streichs der Truppe definiert den Abend als „ersten Kontakt mit dem Publikum“. Vogel ist einer der Mitbegründer dieses Theaterkollektivs, das schon seit mehr als 20 Jahren mit einer Art des Spielens für Furore sorgt, die bis heute einzigartig ist. In Dutzenden von Ländern haben sie ihre Stücke gespielt, da sie ohne verbale Kommunikation auskommen ist das keine Problem. Alleine mit fast schon grandios zu nennenden Masken und bis ins Detail präzise ausgearbeiteten Bewegungen schaffen sie es, in ihren Stücken immer wieder ganz besondere Geschichten zu erzählen, wobei auch immer die logistische Leistung hinter der Bühne zu bewundern ist, denn immer spielen die maximal fünf Darsteller jede Menge von Rollen, die häufige schnelle Masken- und Kostümwechsel erfordern.  

Im neuen Stück geht es um Dr. Nest, einen Arzt, der zum Auftakt den Zug besteigt und sein bisheriges Leben samt der darin gemachten Erfahrungen zurücklassend, zu neuen Ufern aufbricht. In der Heilanstalt „Villa Blanca“ findet er eine neue Herausforderung. Es begegnen ihm  Mitarbeiter, Vorgesetzte und ein Chef, aber er begegnet immer wieder auch sich selber. Eine Parabel auf das Seelenleben des Menschen könnte man interpretieren, aber wie immer lässt Familie Flöz auch vieles offen, überlässt es dem Zuschauer, sich seine eigene Welt zu imaginieren. Wir sehen einen schon maskenmäßig wieder herausragend gestalteten Dr. Nest, der getrieben von Neugier und seinen Gefühlen sich ans Werk macht, mit den seltsamen Patienten deren und auch ganz beiläufig seine eigene Seele zu erkunden. Immer wieder schwindet die kühle Distanz im Behandler-Patienten- Verhältnis, die Szenerie wird beherrscht von Grenzgängen und Grenzerfahrungen.

Mit Sicherheit ist es das Stück der Gruppe, das sich am tiefsten im mystischen Raum bewegt. Rätselhaft oder sonnenklar wechseln sich in den Bildern auf der durch sehr variable Wandelemente, die immer wie zu neuen Räumen umgeschoben werden können, ab. Es ist eine gelungen visualisierte Reise in ein fremdes Land des Ichs, in die Seele von Menschen, ein Blick des Dr. Nest in die eigenen Abgründe.

Auffallend ist, dass Familie Flöz dieses Mal anstatt dem in den vorherigen Stücke eingeschlagenen Pfad zu folgen, der vor allem auf naiv-verspielte Fröhlichkeit setzt, mit der auch ernsthafte Themen angegangen werden, neue Wege sehr erfolgreich ausprobiert. Die fünf Darsteller arbeiten an und in einer Atmosphäre der Melancholie, der Zurückgezogenheit, die auch von Licht und Musik perfide und trefflich gefördert wird. Und doch bleibt das Stück in letzter Konsequent unterhaltsam. Der Humor, der die Flöz-Arbeiten von „Ristorante Immortale“ über „Teatro Delusio“ und „Hotel Paradiso“ bis hin zum Stück (auch) über den Tod, zu „Infinita“ kennzeichnet hat sich noch einmal verfeinert, ist ganz zart gewebt. Kaum traut man sich das laute Lachen an dieser Grenze zwischen Schmerz, Pein und dem Vergnügen, den diese Art der Abhandlung des emotionalen, gefühlten, erlittenen Lebens da schildert.

Man spürt, Familie Flöz ist weiterhin in einer Entwicklung, versucht jeden künstlerischen Stillstand zu vermeiden. Stattdessen werden die Möglichkeiten dieser ganz besonderen Art der Darstellung ausgelotet, auch die eigenen Möglichkeiten werden damit zwangsläufig erforscht. Sicher wäre es ein Leichtes, auf das Erfolgsrezept der Vergangenheit einfach weiter zu setzen, man könnte noch etliche Produktionen dieses Stils erarbeiten, sie kämmen mit Sicherheit beim Publikum an. Das aber, vor allem das tiefer interessierte, kann sich auch, wie der Beifall des Abends beweist, an der Entwicklung der Truppe, an der Erweiterung der Möglichkeiten, an der Erforschung neuer Wege begeistern.

Natürlich steht bei solch einer Preview für die Regie auch im Mittelpunkt, wie die erdachten Feinheiten bei den Zuschauenden ankommen. Nicht umsonst berichtet Michael Vogel, dass man nun nochmals eine Woche intensiv proben wird, die Erkenntnisse der Stuttgarter Voraufführungen auswerten und berücksichtigen wird.

Deshalb wird wohl auch die Premiere noch einige zumindest kleine Veränderungen bringen. So fiel auf, dass das Stück etwas schwerfällig in die Gänge kommt, ein wenig schleppend der Auftakt. Auch wurde hinterher diskutiert, ob man den monotonen Rhythmus der Melancholie, der auch Bedrücktheit verbreitet, der aber eben auch in seiner Feinheit, seiner Stimmungsstärke, seiner Mystik eine Qualität darstellt, nicht durch ein oder zwei bewusste Highlights, die diese Stimmung unterbrechen, sozusagen einen Ausbruch, einen Weckruf, einen Kontrapunkt  darstellen, würzen könnte oder sollte. Denkbar ist beides, auch diese Baustelle wird, da kann man sich ziemlich sicher sein, befriedigend geschlossen. Eines kann man jetzt schon sagen: Dr. Netz ist ein gelungenes neues Stück, eine spannende Weiterentwicklung dieser großartigen Truppe und es wird sich mit seiner eigenen Art, gerade wenn es jetzt noch den Feinschliff  erhält, in die Serie der Erfolgsstücke einreihen.                  

PREMIERE 28. März 2018, Halle Ostkreuz Berlin       

MIT
Fabian Baumgarten/Hajo Schüler, Anna Kistel, Björn Leese, Benjamin Reber, Mats Süthoff

REGIE, MASKEN Hajo Schüler
CO-REGIE Michael Vogel
BÜHNE Felix Nolze / Rotes Pferd
KOSTÜM Mascha Schubert
MUSIK Fabian Kalbitzer
SOUND DESIGN Dirk Schröder
VIDEO Martin Eidenberger
LICHT Reinhard Hubert
PRODUKTIONLEITUNG Gianni Bettucci
PRODUKTIONSTEAM Julia Danila, Dorén Gräfendorf
ASSISTENZ BÜHNE Theresa Hechtbauer
ASSISTENZ MASKEN Franziska Schubert

In Memoriam Paco Gonzalez

 

Photo by Valeria Tomasolu

        

                      

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