Die aktuelle Kritik

Schubert - Frempong - Krahl: "d'arc visions"

Von Katja Hille

Eine Produktion von d’arc visions in Koproduktion mit Lofft Leipzig und Sophiensäle Berlin.

 

Foto © Schubert

 

Ihr müsst wissen, was ihr wollt

Bereits zwei Tage vor der Berlinpremiere am 2. Mai 2012 in den Sophiensälen soll ich zu den Leuten sprechen. „Warm up“nennen das meine Kollegen. Ich bin die alte Frau in dem hässlichen grauen Fummel und trage mein weißes Haar offen. So sehen auferstandene Jungfrauen aus. Mein Name ist Johanna. Ich schwebe ums Pult herum, verkünde Botschaften, spreche mit knarziger Stimme zu den modernen Menschen, die gut versorgt herumsitzen und sich wie üblich alles gefallen lassen: intime Fragen, ausweichende Antworten, genüssliche Unverschämtheiten. Selbst meine bittere Ironie und die wenig subtile Anklage, außer mir habe wohl niemand etwas beizutragen zur Geschichte. - Die modernen Menschen lächeln nur.

„Der ist gar nicht richtig da, die da auch nicht!“, beschwere ich mich bei den Kollegen, der schönen Frau Frempong an der Musikmaschine und dem schmalen Herrn Krahl mit seinen bildgebenden Apparaten. Beide interessieren sich mehr für Technik.

Meine Existenz ist fragil, dennoch verausgabe ich mich zwischenmenschlich. Die Unbeweglichen zum Handeln zu bringen mit meinen Visionen, lautet der Auftrag. Dunkel sind sie geworden angesichts all der Untaten. Und ich bin’s Leid. Hätte die erfahrene Frau Wächter mich nicht geschaffen, mir nicht für meine entsetzliche Illusionslosigkeit die riesigen Augen und den schmalen Mund gegeben, und würde die einfühlsame Frau Schubert mir nicht die sarkastischste aller Seelen einhauchen, wäre auch ich nicht da. Besonders die wunderbare Frau Schubert. Die steckt mit einer Seite völlig in mir drin, schenkt mir die verrottete Stimme aus 581 Jahren Totsein. Eigenhändig Kriege geführt habe ich, wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt, ohne jemals Sex gehabt zu haben. Wenn die Zuschauer das nicht bewegt, sollen die Kollegen mich besser wieder verschwinden lassen.

Bei der Premiere rührt sich dann doch was. Herr Krahl hat Buchdeckel eingeritzt, Schnipsel entnommen, Staub weggepustet, alle Geschehnisse auf Leinwände projiziert. Frau Schubert hat Gitarre gespielt, ich habe verkündet. Frau Frempong hat gesungen, Geräusche gemacht und alles geloopt. Das kommunistische Püppchen hat seine Rotkäppchen-Rede gehalten. Alles schön, nur ein wenig beliebig. Jetzt ist das Greisenkind dran. Ich bin vergessen, die Spielereien meiner talentierten Kollegen sind bloß noch Dekoration. Frau Schubert kriecht in das Kind hinein, so dass ich eifersüchtig werde, hockt mit ihm vorn am Bühnenrand und lässt es mit schrillem Stimmchen skandieren: „Ihr müsst schon wissen, was ihr wollt! Sonst kann ich euch nicht helfen!“. Jetzt endlich sind alle richtig da und lauschen dem Appell des Puppenkindes. Die Menschen sollen Entscheidungen treffen, eigene Visionen entwickeln, sich bewegen. Doch sie machen nur Blödsinn: Helden verehren, Kommunismus betreiben, Kinder schänden. „Ich wollte doch nur helfen!“, wimmert es am Schluss und verbirgt sein Gesicht.

Uns allen hat das Greisenkind die Show gestohlen. Gut so.

 


d’arc visions
Eine Produktion von d’arc visions in Koproduktion mit Lofft Leipzig und Sophiensäle Berlin.
Konzept: d’arc visions, Musik: Joy Frempong, Video: Simon Krahl, Spiel: Rike Schubert, Dramaturgie: Christin Bahnert, Puppen: Suse Wächter, Kostüm: Aurelia Paumelle, Produktion: Uwe Lehr, Mitarbeit: Silke Saalfrank, Grafik: Felix Weigand

zur Homepage www.darcvisions.com

 

 

In Zusammenarbeit mit double - Magazin für Figuren-, Puppen- und Objekttheater

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