Die aktuelle Kritik

Mensch, Puppe!, Bremen: „Die Fischerin – Meer geht immer“

Von Falk Schreiber

Das Bremer Puppentheater "Mensch, Puppe!" liest das Märchen vom Fischer und seiner Frau neu und macht so ein Publikum ab vier Jahren mit den „Grenzen des Wachstums“ vertraut.

Philipp Otto Runges „Märchen vom Fischer und seiner Frau“ ist bei Licht betrachtet eine ziemlich schwierig zu fassende Geschichte. Ein armer Fischer holt da einen verzauberten Butt aus der Nordsee, aber weil ihm das magiebegabte Tierchen leidtut, lässt er es wieder frei. Seine Frau aber ist unzufrieden, sie will zumindest eine Belohnung: ein größeres Haus, ein Schloss, die Königswürde, immer mehr. Der Fischer sträubt sich, am Ende gibt er aber jedesmal klein bei, doch als die Frau schließlich gottgleich sein möchte, verfliegt der Zauber, und das Paar sitzt wieder in der stinkenden, engen Fischerhütte vom Anfang. Was lernen wir daraus? „Wolle bloß nicht zu viel, strebe nicht nach Höherem und höre nicht auf Frauen – deren Begierden führen grundsätzlich ins Verderben.“ Nein, wer sich heute mit „Der Fischer und seine Frau“ beschäftigt, der muss einen Zugriff finden, der eine andere Moral transportiert.

Und das Bremer Puppentheater Mensch, Puppe (mit Jeanette Luft als Performerin und Philip Stemann, der Text und Regie verantwortet) findet solch einen neuen Zugriff. Zunächst einmal nimmt die Inszenierung eine heutige Perspektive ein. Luft erzählt „Die Fischerin“ aus der Sicht von Svantje: Die ist die Nichte des Fischers aus dem Märchen, hat aber das Fischerhandwerk mittlerweile an den Nagel gehängt – die internationalen Fischereikonzerne hätten das Meer längst untereinander aufgeteilt, berichtet sie beiläufig. Mit einem Wagen, halb Foodtruck, halb Thespiskarren, den sie aus den Resten eines Bootes zusammengebaut hat (Ausstattung: C.R. Müller), zieht sie den Strand auf und ab und sammelt, was die Wohlstandsgesellschaft übriggelassen hat: Plastikmüll, eine Pfandflasche, eine Flasche, die sich verbasteln lässt, ein bisschen Bernstein. Und einen Puppenkopf, den sich mittels eines angeschwemmten Shirts zu einer Handpuppe vervollständigt. Fertig ist die Figurenbühne aus dem Geist des Objekttheaters.

"Die Fischerin" (c) Aleksandra Weber

Es ist sympathisch, wie Luft die über die Bühne verteilten Objekte zum Leben erweckt, richtiges Puppentheater ist es freilich nicht. Die Figuren, die sie sich zusammensammelt, sind keine Puppen im engeren Sinne, es sind Statuen, die von links nach rechts getragen werden, aber keinen eigenen Ausdruck haben. Nur: Den braucht das Stück auch gar nicht. Luft nämlich spielt, wie Svantje einen gestrandeten Fisch rettet – ob das der Butt aus den Erzählungen ihres Onkels ist, bleibt unklar – und sich daraufhin an die alte Geschichte erinnert. Die sie dann mehr nacherzählt als sie wirklich mit Puppen zu spielen. Also: Onkel Timpe fängt und rettet den Fisch, Tante Ilse wird von ihrer Gier aufgefressen, es gibt ein paar hübsch sparsam für Luft mit Fischstimme und Mandoline arrangierte Songs, außerdem den reizenden Bühneneffekt, dass die Tanten-Puppe mit jedem erfüllten Wunsch ein Stückchen weiter in die Höhe wächst. Und das war es.

"Die FIscherin" (c) Aleksandra Weber

Nur das Ende ist dann der Schritt in die Gegenwart, den dieses Märchen braucht: Zwar landen Timpe und Ilse am Ende wie in der Vorlage wieder in ihrer Hütte, aber im Märchen ist das eine Bestrafung, hier ist es eine Befreiung. Die Tante nämlich leidet unter ihrer Gier, und indem der Butt ihr die Gier nimmt, stehen nun die Türen zu einem glücklichen Leben offen. Der typische Märchenschluss „Und sie lebten glücklich und zufrieden“, den glaubt man hier tatsächlich: Onkel und Tante haben sich nicht wie im Märchen mit ihrem ärmlichen Leben arrangiert, sie haben erkannt, dass das ständige „Mehr, Mehr, Mehr!“ auch nicht froh macht.

Was so auch für die Inszenierung gilt. Luft, Stemann und Müller zeigen „armes Theater“, Puppentheater, das nicht mit ausgefeilten Ausstattungsgags bezaubert, sondern nimmt, was da ist: Hier ein bisschen angeschwemmtes Strandgut, dort ein Karren mit Schiffsbug. Im Grunde ist „Die Fischerin – Meer geht immer“ ein Stück, das den Umweltschutzklassiker „Die Grenzen des Wachstums“ in 40 Minuten für ein Publikum ab vier Jahren erfahrbar macht: Wenn wir immer nur mehr von allem wollen, dann geht unsere Welt den Bach runter (und der Untertitel „Meer geht immer“ spielt durchaus originell mit dieser Aussage). Interessant ist daran, dass das so auch schon bei Runge steht: Mit jedem Wunsch, den sich die Frau vom Butt erfüllen lässt, wird das Meer trüber, stinkender, lebensfeindlicher. Wenn man es genau nimmt, dann ist „Der Fischer und seine Frau“ doch kein so reaktionärer Stoff, wie gedacht. Man muss ihn nur richtig lesen.

Die Fischerin – Meer geht immer

Spiel und Musik: Jeanette Luft, Regie und Text: Philip Stemann, Ausstattung: C.R. Müller

Website von Mensch, Puppe!

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