Die aktuelle Kritik

El Solar. Agentur der Objektdetektive: "Tagebuch zwischen den Zeilen"

von Tom Mustroph

Die Agentur der Objektdetektive El Solar erkundet beim „Festival der Dinge“ an der Schaubude Berlin den DDR-Alltag und bleibt dabei meist in einer verzückten Museumswächterposition stecken.

Objekte können Geschichten erzählen. Neben Puppenspielern wissen das Kriminalisten ziemlich gut. Es lag also förmlich in der Luft, dass Tim Sandweg, Künstlerischer Leiter des Festivals „Theater der Dinge“, das Detektivbüro El Solar für eine Recherche und eine spätere Animation von Objekten beauftragte. Passend auch, dass El Solar eine Agentur von drei Theaterkünstlern aus Spanien und Mexiko ist. Xavier Bobés, Shaday Larios und Jomi Oligor haben unter anderem schon im Botanischen Institut von Barcelona lebendige sowie in Reagenzgläsern archivierte Pflanzen zum Sprechen gebracht.

In Berlin war ihr Oberthema die Mauer. Das erläutert das um die als übersetzende Mitspielerin Anya Deubel ergänzte Trio zu Beginn der Performance im gemütlichen Weinsalon in Berlin-Friedrichshain. Um der Mauer näher zu kommen, streiften sie zunächst durch Museen und waren beeindruckt von der hiesigen Vielfalt der Institutionen der Erinnerungskultur. Schnell stießen sie auf die wohl größte Lücke im musealen Erinnerungsbetrieb: Den Alltag der Menschen hinter der Mauer. Also begaben sie sich auf die Suche nach Alltagsgegenständen aus der alten DDR. Sie durchstreiften Flohmärkte, stießen auf den Design-Laden „Dederon“ in Kreuzberg, der sich ganz diesem Plastefabrikat widmet oder auch den Vor-Wende-Laden im Friedrichshain, der eine Art kleines DDR-Museum zum Anfassen und Kaufen darstellt, vollgestellt mit Erzeugnissen volkeigener Produktion.

Einige dieser Objekte waren dann auch in der Mitte des kleinen Salons aufgebaut.

In den schöneren Momenten des Abends dienten sie als Assoziationsauslöser. Die Modelleisenbahn, die zuckelnd auf dem Tisch herumfuhr, symbolisierte nicht nur die Recherchefahrten, von den die Truppe erzählte. Die kreisende Bewegung entführte auch in andere Zeiten und Räume. Sie ließ zudem darüber nachdenken, ob Geschichte nicht doch weniger linear erfolgt, wie es die moderne Geschichtsschreibung nahelegt, sondern eher in Kreisen und Schleifen, wie es die voraufgeklärten Alten dachten.

Oft genug waren die Objekte aber leider nur formale Auslöser für das Abspielen von Interviewsequenzen mit Menschen, denen die Objekte gehören. Von ihnen, den Sammlern und Aufbewahrern von DDR-Alltagskultur, erfuhr man dann nicht viel mehr als dass ihnen das Sammeln eben Freude mache und sie mit anderen Leuten zusammenbringe. Sie waren die Hüter romantisch überhöhter Objekte.

Das ließ den Abend zuweilen arg in die Ostalgie-Ecke driften, zumal Objekte aus dem ebenfalls ummauerten einstigen Westberlin komplett fehlten. Auch die von El Solar betriebene Erinnerungskultur hatte also Lücken. Immerhin wurde von Westpaketen erzählt. In einer schönen narrativen Volte wurden dann aber Ost-Pakete ausgepackt, Pakete mit Nussknackern und Weihnachtspyramiden aus dem Erzgebirge, die den Verwandten West als Dank für Kaffee und Nylonstrümpfe, Seife und Eau de Cologne von den Verwandten Ost geschickt wurden. Ein Nussknacker war jedoch, so erzählte die Truppe, von einer Frau aus der DDR für sich selbst vorgeschickt worden in den Westen. Sie hatte einen Ausreiseantrag gestellt, und wollte den Knacker, weil er ihr emotional wichtig war, auch in der neuen Heimat haben. Da ward es kurz still in der anheimelnden Erinnerungsshow.

Dass selbst das Publikum immer wieder ins Reden, Fragen und Erzählen während der Show geriet, zeigt immerhin, dass die Detektive aus Spanien einen wunden Punkt in der bundesdeutschen Gesellschaft berührten: Die Entwertung von DDR, die dann solche Reaktionsformen wie Ostalgie oder eben auch Zorn über „die da oben“, katalysiert von Pegida & Co., hervorruft.

Format und Anlage dieses „Tagebuchs zwischen den Zeilen“ haben also Potential. Leider jedoch vertrauten die Detektive zu wenig der Kraft der gefundenen Objekte. Sie ließen zu wenig selbst die Dinge erzählen, hielten sich in deren Animation zu stark zurück. Sie beschränkten sich meist auf eine Narration über Objekte, kamen seltener zum Erzählen mit oder gar durch sie.

Nur als sich die Kaffeekanne aus dem einstigen Palast der Republik im Scheinwerferlicht drehte, und die Performer den Gedanken pflanzten, dass vielleicht nicht wir die Objekte ansähen, sondern sie möglicherweise uns, wurde das eigene Glotzen zum Wahrnehmen. Die weiße Kanne mit dem goldenen Palast-Logo schaut dich an, und vielleicht sagt sie dir, wie unglücklich sie ist, nicht mehr an dem Ort zu sein, für den sie designt wurde. Vielleicht fühlt sie sich aber auch befreit und ist froh darüber, andere Orte zu sehen. Möglicherweise wird sich dann die Kaffetasse einmischen und von den vielen Lippen von inoffiziellen und offiziellen Stasimitarbeitern berichten, die sich auf ihren Rand gedrückt hatten. Oder sie erzählt von den Mündern verstörter Jugendlicher, die in diesem Volkspalast ein kleinbürgerliches Leben einübten und nicht wussten, ob sie sich als Herren aufführen oder sich doch eher fehl am Platz fühlen sollten. El Solar machten sich zu sehr zu Sklaven der Objekte, zu sorgsamen Hütern. Mehr künstlerische Souveränität hätte dem Abend besser getan.

Tom Mustroph

El Solar. Agentur der Objektdetektive, Tudela/Sant Marti Vell (Spanien)
Produktion: Schaubude Berlin
Detektiv*innen: Xavier Bobés, Shaday Larios, Jomi Oligor
Detektivin vor Ort: Anya Deubel

 

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