Theater der Jungen Welt: „Hans im Glück“
Besitz macht unfrei
Es ist ein geradezu monströses Gefährt, mit dem Dirk Baum im Kreis über die Bühne fährt: Entfernt an ein sehr groß ausgefallenes Dreirad erinnernd, ist das Glückmobil genannte Vehikel mit lauter Kram beladen, sodass man meinen könnte, Baum käme gerade von einer Sperrmüllsammeltour. Im Laufe der Inszenierung schält sich ein genauerer Blick auf die einzelnen Gegenstände heraus, wenn sie nacheinander mindestens einem Zweck zugeführt werden, um die Geschichte vom Hans zu erzählen. Überspitzt formuliert tauscht dieser Besitz gegen Freiheit oder – eine andere Interpretation – lässt sich einfach nur immer wieder für dumm verkaufen, bis ihm schließlich außer seiner Freude über die Unbeschwertheit des Seins ohne Besitz gar nichts mehr bleibt.
Diese philosophische Dimension wird gleich eingangs berührt, wenn Baum rhetorische Fragen an das junge Publikum richtet: Bietet man dem Glück Kuchen an, wenn es vor der Tür steht? Woran erkennt man das Glück eigentlich? Und wenn es nicht zu einem kommt, geht man dann selber hin? Aber wo wohnt es denn? Aus dieser Rolle des Erzählers und Reiseführers von einem Tausch zum nächsten schlüpft Baum, indem er eine Mütze aufsetzt: Dann steht Hans auf der Bühne. Ist die Mütze ab, macht Hans mal kurz Pause.
Fast schon eine eigene Bühne auf der Bühne bildet das Glückmobil, das Bühnenbildner Christof von Büren für das TdJW gebaut hat. Dort verbergen sich Hans’ Kammer und die Werkstatt, in der er arbeitet, oder der Briefkasten, aus dem er die Post von seiner Mutter holt. Das Mobil verwandelt sich dank eines Regenschirms und eines Blechblasinstruments in ein Pferd, das Äpfel hinterlässt.
Ähnlich abstrakt wird per Nudelsieb mit Wikingerhörnern aus dem Pferd eine Kuh, die aus einem Schlauch Milch geben kann – sofern man denn den richtigen Schlauch erwischt –, und so stark nach Hans austritt, dass dieser sich bereitwillig dazu überreden lässt, vom Kuh- zum Schweinehalter zu werden. Das Schwein ist groß und von gesundem Rosa – so jedenfalls verheißt es der Luftballon, der irgendwo zwischen all den Gegenständen am Glücksmobil aufgeblasen wird.
Aus den Tiefen des Mobils erscheinen die Gans als Kopf mit langem Hals, der aus einer weißen Häkeltasche herausschaut, und schließlich der Schleifstein. Letzterer fällt am Ende in einen Fluss, der sich selbstverständlich auch aus einer am Glücksmobil angebrachten Kanne heraus ergießt. Zwischendurch erzeugt eine Modelleisenbahn begeistertes Geraune, als sie die Reise zurück zur Mutter durch Landschaft simuliert, und es tauchen eine Handschwengelpumpe und ein Schlagzeug auf, bunte Leuchtschlangen blinken zum Abschied.
Die Gummimilch-Personen, mit denen Hans es auf seiner Reise des Tauschhandels zu tun hat, leben zwischen Kuheuter und Pferdesattel – mit Ausnahme des Gesichts, das auf Baums Knie enthüllt wird. Sie sind vorwiegend Handpuppen, die im Wesentlichen aus Kopf und Gesicht bestehen. Die Figuren sind trotz oder gerade wegen dieser Simplizität adäquat und charakteristisch. Der Scherenschleifer etwa, der Hans den Schleifstein im Tausch für die Gans verhökert, ist nur eine schiefgesichtig-finstere Maske, die Baum auf dem Kopf trägt. In gebückter Haltung schaut der Scherenschleifer ins Publikum, das sofort weiß, dass es sich hier um eine zwielichtige Type handeln muss.
Der vielfältige Rollentausch gerät durch die Wahl der Mittel zu einer heiteren Entdeckungsreise. Baum meistert ihn problemlos und unter Zuhilfenahme verschiedener Dialekte oder eben durch das klare Zeichen von Mütze auf und Mütze ab. Als besitzloser Badender im Fluss erscheint Hans seliger als je zuvor. Dem Publikum obliegt die Bewertung, ob es ihm Recht geben oder verständnislos den Kopf schütteln möchte. Immerhin dürften die Eingangsfragen zum Wesen des Glücks und zum richtigen Umgang damit noch im Hinterkopf nagen.
Premiere (Uraufführung): 20. Februar 2016
Mit: Dirk Baum
Regie: Marion Firlus
Puppenbau und Bühne: Christof von Büren
Kostüm: Dirk Baum
Dramaturgie: Torben Ibs
Foto: Tom Schulze