Die aktuelle Kritik

Theater Erfurt / Waidspeicher: „Die Heimkehr des Odysseus“

von Tobias Prüwer

Statt großer Kulisse triumphieren in diesem Gesamtkünstewerk Finesse und kleine Einfälle.

 

Monteverdi als Figuren-Singspiel

Schlussendlich ist es ein Strickmuster, das Odysseus Glück perfekt macht. Nachdem er nach Ithaka zurückgekehrt ist und seine Feinde mit Pfeil und Bogen gerichtet hat, überzeugt er Penelope durch seine Intimkenntnis der Bettwäsche, dass er wirklich er ist. Gar nicht nach Schema F ist die Produktion "Die Heimkehr des Odysseus" am Theater Erfurt gestrickt, die in Kooperation mit dem Figurentheater Waidspeicher Claudio Monteverdis 1640 uraufgeführte Oper als Figurentheater-Singspiel zeigt. Dass die Puppenkunst nicht nur zum illustrierendem Beiwerk dient oder als Gag herhält, ist die Überraschung dieses beeindruckenden Abends.

Der künstlerische Leiter Samuel Bächli hat das im 19. Jahrhundert wiederentdeckte Opernfragment als Crossover historischer Instrumente wie Laute, Cembalo, Barockorgel und moderner wie Akkordeon, Klarinette oder Vibraphon arrangiert. Dem Opern-Laien-Ohr des Kritikers fällt die Mischung angenehm auf; ein gebildeteres Urteil muss Musikkennern überlassen bleiben.

In flüchtiger Szenenfolge zieht die alte wie altbekannte Geschichte als Kammeroper dicht am Publikum vorüber. Leise, nicht aufgedrängt hat Regisseur Christian Georg Fuchs dabei das Thema Migration, Flüchtlinge und Grenzregime in die Story um den heimwärts drängenden Irrfahrer eingeflochten. So weisen Kostüme einen Teil des Ensembles als Militär oder Sicherheitsleute aus, in einfacher Kleidung wirken die anderen wie Flüchtlinge.

Die Musizierenden kommen nach und nach hinzu und verlassen die Bühne gen Ende wieder peu à peu. Das kann man als Reminiszenz an die Theatertradition verstehen, in der die Gruppen Jahrhunderte vagabundierend und als unehrliche angesehen unterwegs waren. So ist auch die eigentliche Oper wie die Vorstellung eines Wandertheaters gebaut. Sänger und Spieler laufen anfangs in den leeren Bühnenraum, ziehen einen Rollkoffer hinter sich her. Daraus steigt eine Figurenspielerin aus, das eigentliche Spiel beginnt. Alle Bühnenbildteile, die nach und nach hinein und wieder hinaus geschoben werden, bestehen aus rollenden Transportkoffern beziehungsweise werden aus solchen hervorgeholt. Diese Kulissenbeweglichkeit hält die Inszenierung im Fluss.

Die Figuren sind große Gliederpuppen. Sie treten allesamt ohne Kostüme auf, sind nackt, skelettiert – eine Anspielung aufs nackte Leben, das dem nach dem Überleben suchenden Flüchtling bleibt. Die Gesichter tragen Züge verschiedener Ethnien, eine universalistische Geste: Die ganze Welt ist hier Bühne. Ein Sänger und zwei Spieler führen jeweils eine Puppe, die Stimmkünstler zumeist eine Hand. Wie sehr sich mehrere Menschen jeweils um die fragilen Figuren bemüht, hat etwas Berührendes, ist ein kleiner Fingerzeig auf die Zerbrechlichkeit der Existenz. Das Zusammenspiel ist konzentriert und genau.

Die exakt-realistische Figurenführung passt einerseits gut zum barocken Hang zur dramatischen Verzögerung und Langsamkeit. Gleichzeitig konterkariert die Figur als Hauptdarsteller den Manierismus der Operngestik. Das belebte Holz steigert das Abstraktionslevel, wirkt wie ein Katalysator für den Anstieg der Intensität, weshalb diese Inszenierung illustres Beispiel für Kleists Figurentheaterthese sein könnte. Das tote Material macht das Bühnegeschehen noch lebendiger. Puppenkörper und Sängerleib verschmelzen manchmal gar zu einer Einheit, wenn sie sich beide aneinanderschmiegen.

Hervorzuheben ist die Leistung aller im Ensemble, die sich hier zu einem Gesamtkünstewerk vereinen. Finesse und kleine Einfälle triumphieren statt großer Kulisse, die der Musik vorbehalten bleibt. Athene erscheint mit einem zweidimensionalen Hampelfrau-Körper. Die rudernden Phaiaken machen einzig durch zwei auf die Hand aufgesteckte Augen deutlich, wie einfach man Figuren erwecken kann. Odysseus’ Tarnung als Greis geschieht durch einen Wechsel des Körpers – der Kopf wird übernommen.

Das Figuren-Oper-Amalgam scheint wie aus einem Guss und trotz seiner zweieinhalbstündigen Länge (mit einer Pause) gerät es nie ins zähflüssige Stadium. Am Schluss steigt eine Spielerin wieder in die Kiste, lässt Penelope und Odysseus zurück. Und ab. – Die Karawane zeiht weiter.

 

Premiere: 20. Februar 2016

Musikalische Leitung: Samuel Bächli
Inszenierung und Bühne: Christian Georg Fuchs
Kostüme Mila van Daag
Puppen: Ulrike Langenbein und Florian Schmigalle
Gesang: Máté Sólyom-Nagy, Katja Bildt, Daniela Gerstenmeyer, Anita Rosati, Kathrin Filip, Catriona Morison, Julian Freibott, KS Jörg Rathmann, Vazgen Ghazaryan
Puppenspiel: Kristine Stahl, Paul Günther, Karoline Vogel, Tomas Mielentz, Martin Vogel
Philharmonisches Orchester Erfurt

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