Die aktuelle Kritik

Theater der Dinge 2021: Artisanen: "Als die Tiere den Wald verließen" & Xesca Salvà und Marc Villanueva Mir: "Pantoffeltierchen und Meteoriten"

Von Tom Mustroph

An der Schaubude Berlin wird die Natur wiederentdeckt: „Als die Tiere den Wald verließen“ und „Pantoffeltierchen und Meteoriten“ bringen Ökologie und Wissenschaft auf die Bühne des Objekttheaters.

Ja, ja, die Nachhaltigkeitsdiskurse nehmen immer mehr Fahrt auf, auch in der Kunst. Neue Förderprogramme für diese Thematik zeichnen sich ab. Und unabhängig davon beschäftigen sich Künstlerinnen und Künstler aus eigenem Antrieb mit den fragilen Verfassungen von Biotopen und Ökosystemen. Anhand zweier Produktionen des Festivals Theater der Dinge 2021 der Berliner Schaubude konnte man diesen Nachhaltigkeits-Turn in den Darstellenden Künsten gut beobachten.

Als die Tiere den Wald verließen ©  Kai Wido Meyer

Migrationsdrama der Waldtiere

„Als die Tiere den Wald verließen“ des Berliner Puppenspieler-Duos Artisanen stellt sich dabei als hoch emotionales Migrationsdrama von Waldtieren heraus. Sie müssen ihr angestammtes Habitat verlassen, weil die Menschen die Bäume fällen und den Wald vernichten. Aus Perspektive einer Eule wird erzählt, wie deren Heim, eine Baumhöhle, bebt, wackelt und schließlich die Abwärtsreise antritt und der große Vogel nicht nur traumatisiert, sondern zugleich auch noch obdachlos wird. Zwei Hamster berichten, wie der Beton der Flächenversiegelung sich durch die Gänge ihres Baus frisst und diesen ebenfalls unbewohnbar macht.

Die Artisanen Inga Schmidt und Stefan Spitzer stellen dieses Geschehen auf hybriden Bühnen dar. Drei Säulen hat Bühnenbauer Christof von Büren entwickelt. In einem von ihnen gibt es einen Schaukasten, der zu Beginn der Aufführung Miniaturbäume enthält. Diese werden per Hand umgelegt. Projizierte Bilder einer Videokamera werfen das Geschehen um ein Vielfaches vergrößert – und dabei sehr realistisch anmutend – auf die Fläche einer benachbarten Säule. Die Waldtiere selbst tauchen in zwei Erscheinungsformen auf: Als finger-kleine Spielzeugwesen, die Spitzer auf einer Kreisbahn positioniert und durch sukzessives Verschieben der Figurengruppe in Uhrzeigerichtung den Fortgang der Geschichte anzeigt. Die zweite Erscheinungsform der Tiere sind hand- bis arm-große Puppen, die mal von Schmidt und Spitzer solistisch, mal von beiden gemeinsam bewegt werden. Am eindrucksvollsten stellen sich dabei der Flug einer Eule und der rasende Lauf einer Füchsin heraus.

Gute Balance verschiedenster Erzählformen und Medien

Als Anführer und Leitfigur der Waldtiere, als deren Moses im Wald-Exodus also, wird ein bezaubernd naturalistisch gestalteter Dachs eingesetzt (Puppenbau: Mechtild Nienaber). Er initiiert das Treffen der Waldtiere. Er schleppt auch tapfer den langsam schleichenden Maulwurf über weite Strecken. Die Artisanen lassen ihre Figuren mal solistisch erzählen, fügen sie aber auch zu Gruppen zusammen. Passagen der Flucht sind per Video festgehalten (Videodesign Kai Wido Meyer). Da sieht man manchmal nur Landschaften, beobachtet aus einer Perspektive kurz über der Grasnarbe. Zuweilen sind dort auch die Tierfiguren platziert, neben den bereits genannten noch ein Otter und eine Kröte. Dabei werden alle drei Säulen als Spielflächen benutzt.

Actionszenen sind integriert (Dramaturgie: Schaubudenchef Tim Sandweg), etwa wenn eine Feuersbrunst umgangen oder eine Schnellstraße gekreuzt werden muss. Opfer gibt es dabei auch. Die Gemüter der Zuschauer*innen müssen einiges aushalten. Für versöhnliche Szenen sorgt der Abend aber auch. Der Schwur der im realen Waldleben durchaus feindlich zueinander eingestellten Protagonist*innen, sich während der Flucht mal nicht zu verspeisen, rührt an jedes Herz, das noch an Gemeinsinn glaubt. Intensiv sind immer wieder die Klangmomente (Sounddesign: Moritz Schwerin). Überhaupt fällt diese Inszenierung von Franziska Dittrich (Gründungsmitglied der wie die Artisanen aus dem Puppenspielbiotop der Hochschule Ernst Busch hervorgegangenen Retrofuturisten) durch den so souveränen wie gut ausbalancierten Einsatz verschiedenster Medien und Spielformen auf.

„Als die Tiere den Wald verließen“ erweist sich auch ästhetisch als Modellstück zum Thema Folgen des Abholzens.

Festivalbesucher*innen © Katharina Neumann

Labor der Kleinstlebewesen

Einen ganz anderen Zugriff haben die katalanischen Künstler*innen Xesca Salva und Marc Villanueva Mir auf die Natur. Nutzten die Artisanen noch die klassische Bühnenform, so ist das zahlenmäßig kleine Publikum bei „Pantoffeltierchen und Meteoriten“ im idyllischen Schloss Biesdorf am östlichen Rand Berlins in eine Mischung aus Labor, Werkstatt und Schuppen im Garten geladen. Unregelmäßig geformte Stücke von Rollrasen liegen auf dem Boden. Die Monitore alter Röhrenfernseher flimmern herum. Zudem werden Projektionen an Wände geworfen. Meist sind dort Debatten von Biolog*innen im Wortlaut zu lesen. Die Monitore der Röhrenfernseher werden hingegen mit Interviews der Biologin Lynn Margulis bespielt. Margulis forschte zu Kleinstlebewesen. Und um die geht es hier in erster Linie.

Pantoffeltierchen und Meteoriten © Alessia Bombaci

Sie tauchen sogar selbst als Performende auf. Denn ein Mikroskop ist in die Show eingebunden. Was sich so in einem Wassertropfen tummelte und dank des technischen Vergrößerungsauges auch für menschliche Sinne sichtbar wird, wurde per Videobeam an die Wand geworfen. Ein- und mehrzellige Wesen waren zu sehen, wie sie sich auf chaotischen Wegen bewegten. Natürlich handelte es sich nicht um Objekte, sondern Lebewesen. Animiert waren sie nicht durch Spieler*innen, sondern durch die ewigen Prozesse von Energiegewinnung und -umwandlung sowie Fortpflanzung. Im Setting eines theatralen Events wurden sie dann aber doch zu performenden Elementen. Der animierende Beitrag der menschlichen Spieler*innen (neben Xesca Salva und Marc Villanueva Mir noch Veronica Garcia und Brix Lange) beschränkte sich in diesem Zusammenhang weitgehend auf die Rahmensetzung: Welcher Wassertropfen wird ausgewählt? In welcher Vergrößerung ist er zu sehen? Wie ist das Projektionsfenster dimensioniert?

Parallelen zwischen Menschen und Bakterien

Das Auge von in Sachen Biologie bestenfalls mit Allgemeinwissen ausgestatteten Menschen glotzt erst überrascht, dann fasziniert und zunehmend gelangweilter werdend in dieses Getümmel. Zu Meditationszwecken mag es ganz nützlich sein. Als durational performance ist – zumindest für den Allgemeingebildeten – aber zu wenig strukturiert. Dankbar greift dieser dann die Informationsfetzen auf, die von Margullis und Kolleginnen mal audiovisuell, mal nur akustisch und mal lediglich in Schriftform eingebracht werden. So erfährt man von Bakterien, die Sauerstoff aus Kohlendioxid-Verbindungen freisetzten – und mit der erhöhten Sauerstoff-Produktion vor etwa zwei Milliarden Jahren für das sorgten, was Wissenschaftler*innen als die „Große Sauerstoffkatastrophe“ bezeichnen und was als das wohl größte bekannte Massensterben auf Erden gilt. Durch den erhöhten Sauerstoffanteil veränderte sich die Atmosphäre. Sauerstoff war Gift für viele damalige Organismen, weshalb sie starben.

Natürlich fühlt man sich da an heutige Kohlendioxidszenarien erinnert, und man ertappt sich dabei, in den Atmosphäre verändernden und sich damit selbst ausrottenden Bakterien Parallelen zur jetzt lebenden Menschheit zu entdecken. Man spekuliert dann auch, ob die Nachfolger solcher den Kohlenstoff und den Sauerstoff isolierender Kleinstwesen nicht auch heute in begrenztem Maße die Atmosphäre reinigen könnten.

„Pantoffeltierchen und Meteoriten“ lädt also zu den ganz großen Spekulationen ein. Das ist schön. Ein Manko ist allerdings, dass die Produktion zu stark auf Wissenstransfer orientiert ist und die spielerische Komponente dabei in den Hintergrund tritt. Nachahmenswert bleibt immerhin der mutige Zugriff auf eine ganz neue Form von Objekten.

 

Als die Tiere den Wald verließen

Spiel: Inga Schmidt, Stefan Spitzer

Regie: Franziska Dittrich

Puppen: Mechtild Nienaber

Video: Kai Wido Meyer

Sound: Moritz Schwerin

Dramaturgie: Tim Sandweg

Idee: Florian Rzepkowski

Audiodeskription: Nicolai Audiodeskription

Koproduktion mit: Figurentheater Osnabrück, Schaubude Berlin

Fotos: Kai Wido Meyer

 

Pantoffeltierchen und Meteoriten

Von: Xesca Salvà und Marc Villanueva Mir

Mit: Anatomía humana desmontable, Verónica Garcia und Brix Lange in Zusammenarbeit mit der Biologin Carmen Mediano

Komposition, Sound-Design: Gerard Valverde

Licht-Design: Ana Rovira

Roboter-Konzept: Nanna Neudeck

Produktionsleitung: Helena Febrés

Koproduktion mit: Festival TNT – Terrassa Noves Tendències

Die deutschsprachige Version wurde produziert für Theater der Dinge 2021.

Gastspiel mit freundlicher Unterstützung durch: Institut Ramon Llull

Gefördert von: Departament de Culture de la Generalitat de Catalunya, Institut de Cultura de Barcelona und Ajuntament de Barcelona

Unterstützt von: Es Baluard, Teatre Lliure, Konvent

 

Theater der Dinge 2021: "Die Welt ohne uns", 4. bis 13. November 2021

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1 Kommentar
Peter Waschinsky
19.11.2021

THEATER DER DINGE 2021

(Schon wieder ich? Gäbe es hier eine Kultur freier Meinungsäußerung, wäre meine nur eine unter vielen)

Die wie meist freundliche, nur dezent kritische Rezension von T.M. über je eine Figuren- und eine Objekt-Aufführung legt nahe, es gäbe beim Festival im Zentralen Puppentheater Berlin einen fairen Wettbewerb zwischen Puppen- und (einem immer weiter gefaßten) Objekttheater. Die Relationen sind in Wahrheit wie immer ca. 1 zu 10. Zu wessen Gunsten? Welche Frage.

Ich habe mir nach vielen Jahren und faktisch immer gleicher Tendenz - die mich daran erinnert, wie in der DDR oft mit spezieller Programmauswahl vorgeführt wurde, was "unsere Menschen wirklich wollen" - dieses Jahr den Festival-Besuch verkniffen. Wie inzwischen fast alle Berliner Puppenspieler, jedenfalls traf man dort immer weniger. Aber es gibt ja die Puppenspielstudenten, für die alles neu und interessant ist, was ganz weit weg vom Metier ist. Komisch nur, daß die Erfolgreichen der Branche, Puppentheater Halle, Nikolaus Habjan, Michael Hatzius längst wieder klares Puppentheater machen.

Festivalblog: Schreiben da wirklich Außenstehende ihre freie, ggf. kritische Meinung - und die Schaubude veröffentlicht es? Dann hätte sich etwas geändert, seit ich vor einigen Jahren beim Theater-der-Dinge-Festival aus eigener Initiative täglich schrieb und es als Bulletin verteilte - von der Schaubude nur verkniffen geduldet.

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