Westflügel Leipzig: "Regie: Bär"
„Hallo, ich komme aus der Konzeptkunst.“ Aus einem bunten Lichtkreis heraus begrüßt der Regisseur das Publikum. Es sei seine erste Theaterarbeit, er freue sich über das Interesse. So weit so gewöhnlich. Allerdings ist der Regisseur nicht nur ein Bär, sondern gar eine Handpuppe. Ein Handpuppenbär also stellt sich als Regisseur vor. Willkommen bei „Regie: Bär“.
Zunächst einmal ist es eine aberwitzige Idee, die hinter der neuen Produktion von Franziska Merkel und dem Figurentheater Lehmann und Wenzel steckt. Der Puppenbär mimt den Regisseur und die drei Spielenden setzen sein Konzept um. Und das besteht in einer wilden Reise zu allem, was man irgendwie mit dem Thema Bär verbindet. Da wird Bruno besungen, der als „Problembär“ bekannt wurde, Fellhändler und Jäger werden heimgesucht. Zum leibhaftigen Bären verwandelt sich Samira Lehmann, wenn sie sich die Felle des erwähnten Händlers überwirft – in einer Hand eine Bärenmaske, in der anderen eine Tatze. Ihre Bewegungen sind sehr nah am schaukelnden Gang eines Originalbären, was so beeindruckt, dass die anderen Spielenden Angst vor ihr haben.
Während des offenen Probeprozesses ist dem Trio viel Absurdes eingefallen, das nicht nur den Beteiligten Freude bereitet, sondern vor allem auch dem Publikum. Da zuckelt eine automatisierte Fellrolle über die offene Spielfläche, gefolgt von einem motorisierten Gummibaum. Auf einem Kinderrad fährt Franziska Merkel als komischer Typ mit breitem sächsischen Dialekt über die Bühne, verfängt sich in einer Art Fliegenfänger und bleibt liegen. Was der Auftritt des Sachsen-Atze sollte, erschließt sich nicht. Aber der Regisseur kommt ja aus der Konzeptkunst. Es wird mehrfach gesungen, geritten, getrunken.
Im ganzen Chaos zeigen sich aber immer wieder die spielerischen Fähigkeiten der drei. Etwa wenn sie nacheinander die Bärenhandpuppe führen, erscheint diese jeweils ein bisschen anders. Das sind kleine Veränderungen, denn großen Spielraum für Gesten hat die Puppe ja nicht, aber es werden Unterschiede sichtbar. Wenn Lehmann mit wenigen Tritten einen Teppich zur Berglandschaft formt, offenbart sich das Können ebenso wie in Stefan Wenzels Bemühungen, mittels Verstärker den Objekten allerlei Geräusche zu entlocken.
Die Idee, die Puppe zum Regisseur zu machen, ist aber auch auf einer Ebene jenseits der handwerklichen Qualität ein Clou. Sie berührt die Frage, wie kreative Prozesse überhaupt ablaufen, wie Kunst entsteht, von wem die Impulse ausgehen. Das ist sozusagen die Zuspitzung der oft üblichen Herangehensweise, der Figur und dem Material nachzugehen und ihnen zu entlocken, wie zu spielen ist. Denn indem sie dem Bären einen Willen, eine künstlerische Intention unterstellen, berühren sie den Bereich des Geistes. Die drei realisieren die Kunst, die sie in den Bären hineinprojizieren, müssen ihm dafür bildlich gesprochen in den Kopf schauen. Das passiert dann auch auf der Bühne, als die Spielenden ins Bärenhirn klettern und die Bühne zu diesem erklärt wird.
Setzt sich Figurentheater beziehungsweise das Nachdenken über Figurentheater mit der Beziehung von Spielerkörper und Figur, der Frage des Doubles, auseinander, so erweitert „Regie: Bär“ die Fragestellung um den Geist, das Mentale, die kognitiven Fähigkeiten oder auch die Psyche. Wie ist das Verhältnis der Puppe zu dieser Dimension? Gibt es da überhaupt eine Verbindung? Das beantwortet der Abend nicht, der konsequenterweise auch noch am alten Körper-Geist-Problem der Philosophie kratzen müsste: Wie verhalten sich mentale Zustände zu physischen Zuständen? Wie also verhält sich die Regieidee zur Handpuppe, wenn man von der Puppe her denk? Das ist ein raffiniertes Gedankenspiel, das die drei auf der Bühne in absurder Weise und nicht als graue Theorie geben. Dabei entstehen starke Bilder. Etwa wenn sich Franziska Merkel einen großen Bärenkopf überstülpt, nun in des Bären Kopf ist, und sie synchron mit der Handpuppe Bewegungen absolviert. To Bär or not to Bär...
Spiel/Ausstattung/Musik: Franziska Merkel, Samira Wenzel, Stefan Wenzel
Inszenierungsberatung: Stefanie Oberhoff, Johanna Posenenske
Regie: Ensemble
Fotos: Thilo Neubacher
Eine Kooperation mit dem Westflügel Leipzig. Gefördert vom Kulturamt Leipzig, vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und durch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushaltes.