Die aktuelle Kritik

Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen: „Arche Nora“

von Andreas Herrmann

Die bekannte Geschichte der Arche Noah als Objekttheater für Kinder und Familien.

Normalerweise tobt oben, auf der Bautzener Burg, ab Mitte Juni für sieben Wochen der fetteste Theatersommer Sachsens: Lutz Hillmann, Intendant des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters, schreibt und inszeniert dabei ein Stück für den Hof der Ortenburg und die Karten, rund je eintausend für insgesamt 35 Vorstellungen per anno, sind rasch im Voraus vergriffen. Da bleibt im anliegenden Burgtheater, der Heimstatt von zwei Studiobühnen und der Puppensparte, keine Zeit und Kraft für neue Produktionen.

Doch dieses Jahr ist alles anders: Es heißt, sich hygienisch anzupassen und auf kleine Formate mit Mindestabstand, Einbahnstraße und Vermummung bis zum Platz zu setzen: „Sommertheater im Theatergarten" heißt das rasch initierte Ersatzprogramm, nachdem Sachsen als erstes Bundesland wieder den Bühnenreigen mit harten Hygienebandagen eröffnete, der romantische Parkfleck neben dem großen Haus ist mit Lichterketten, Bühne, Tischen und Stühlen und Dekoraktion umgestaltet. Kleine Programme mit Musik und Lesungen auf Deutsch- und Sorbisch – bei Regen im Westfoyer oder im Saal, wo jede zweite Stuhlreihe schon vorsorglich ausgebaut ist, sind angesagt. Die Hoffnung dabei ist, dass sich ganze Hausstände einbuchen, die dann ohne Abstand die Platzkapazität arg erhöhen.

Den größten Programmanteil und die erste Premiere liefert die Puppensparte, deren Leiter Stephan Siegfried auch Text und Inszenierung für die Uraufführung „Arche Nora“ verantwortet – und als Abendspielleiter mit Maske getarnt das handverlesene Publikum höchstselbst begrüßt – dass es überhaupt die allererste Uraufführung in ganz Theatersachsen nach der Viruswende und der Start in eine landesweit recht karge Restspielzeit ist, bleibt Nebensache.

„Ein Stück, in dem mit verschiedensten Gegenständen und Materialien poetische Bilder und magische Tierwelten erschaffen werden, eingebettet in die bekannte Geschichte der Arche Noah“ – so wirbt das Theater, im Prinzip wartet pädagogisch wertvolles Objekttheater für Kinder samt Familien durchaus ab vier Jahren. Und eine Umkehrung des postdramatischen Duktus‘, systematisch die Bühne zu verwüsten, um zum Schluss im Chaos zu kapitulieren und die Pointe zu vergessen.

Denn: hier wird (mehr oder minder stringent) aufgeräumt. Ein leeres blaues Regal, ein großer blauer Tisch, in der Mitte geteilt durch einen manns- resp. frauhohen Spuckschutz aus Plexiglas. Auf diesem: pures Chaos, so als ob alle Schränke der Wohnung – inklusive Küche, Spiel- und Schlafzimmer und vor allem Bastelkisten – ausgeschüttet sind.

Die energische Mutter, gespielt von Annekatrin Weber (symbolisiert via Taucherbrille, Handtasche und blonder Perücke) in der ihr eigenen Autorität, ist ob des Anblicks nicht erfreut und erklärt der Tochter Nora (kopfstehender  Wasserkocher und rosa Perücke), verträumt bis trotzig von Eva Vinke gespielt, dass in genau (!) einer halben Stunde alles aufgeräumt sein muss, der Rest wandere danach unverzüglich in die Mülltüte. Das typische Spieldilemma von phantasievollen Kindern, die natürlich jedes kreative Chaos für beherrschbar halten, wird poetisch nacherzählt – und funktioniert in der schlichten Spielidee vor allem durch die Fundusfundstückauswahl von Beatrice Baumann, die dann, so Siegfrieds Gedanke, als Tiere zur Rettung in die Regalarche müssen – hier frei von genetischen oder gar geschlechtlichen Zwängen, sondern rein aus ästhetischen oder Daseinsgründen.

Ein Teekessel wird so Elefant, ein Akkordeon zur Raupe, ein Gemüsedämpfer glitzert als Qualle, runde Ascher quaken als Frösche, Lampions werden zu Seepferdchen und Kugelfisch, ein Kopfkratzer mit Ballon zur Spinne, eine Kaffeekanne zum Pinguin – alles lebt plötzlich und muss zur Rettung mit in Noras Arche. Wobei Wassertiere hier – im Gegensatz zum biblischen Original – ein wenig in Überzahl sind und Käpt‘n Nemo im Blech-U-Boot kollektiv vertrieben wird. 

Die Ordnungsodyssee endet in einer poetischen Unterseereise im 6/8-Takt, untermalt mit der „Moldau“ von Bedřich Smetana. Das ist sicher nicht ganz unkitschig, aber dennoch herzallerliebst anzuschauen – vor allem weil danach wirklich alles im Regal ist – die Bühnentechniker werden das Stück lieben.     

Beide Spielerinnen, gekleidet in neumodisch-weiße Schutzanzügen, tänzeln dabei stets in Mindestabstand um sich herum, die übliche Objektbegrabbschung nach der Show fiel diesmal leider aus Gründen aus – ganz im Gegensatz zum Beifall nach dreizehn Wochen Theaterstille. Bautzens „Arche Nora“ wird so zum Symbol für ein arg vermisstes Lebenszeichen einer offenbar nicht (so sehr) systemrelevanten Branche. 

Während der gesamten Ruhezeit lieferte der Puppenchef übrigens ein tägliches Video seiner Kultshow „Warten in Godow“ (als „Godow in Corontäne“, Tag 1 bis 80) und bietet nun – vom Kultfaktor dazupassend – auch mehrfach „50 Shades of Red - Rotkäppchen P18“ als „Wolfscomedy“ im Sommergarten: eine lustige Improshow nach der Erfahrung von über 250 Vorstellungen von Grimms Rotkäppchen. Einerseits fußend auf den unmöglichsten Einwürfen bildungsflexibler Gören („Warum ist das Käppchen rot?“ „Feuerwehr!“), andererseits mit livehaftigen Regieanweisungen („Rotkäppchen nascht Haschkekse statt Kuchen“) aus dem schlüprigen Publikum. Auch das ein Erlebnis in der blühenden Wolfsregion Lausitz, wo der Rettungsanker zum Glück an einer Arche hängt.

 

„Arche Nora“ (UA)

Text, Regie, Bühne: Stephan Siegfried

Ausstattung: Beatrice Baumann

Spiel: Eva Vinke, Annekatrin Weber

Netzinfos: www.theater-bautzen.de

Nächste Vorstellung: 28. Juno 2020 

Fotos: Miroslaw Nowotny

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