Die aktuelle Kritik

Eva Meyer-Keller: Some Significance

von Honke Primož Rambow

Eva Meyer-Keller ist spezialisiert auf die humorvolle Umnutzung alltäglicher Gegenstände.

 

Apfelschnitzen und fröhliche Wissenschaft

Ziemlich genau in der Mitte der Performance fällt auf einmal der Satz: „Das Universum besteht nicht aus Atomen, sondern aus Geschichten“. Er kann durchaus als Leitmotiv dessen, was die vier Akteurinnen nebst Musiker auf der Bühne veranstalten, gelten. Isaac Newtons Apfel ist an diesem Abend allgegenwärtig: In Strumpfhosen gestopft wird er zu um die sich minutenlang drehenden Performerinnen kreisenden Atomen – nebenbei wird auch noch die Entdeckung des Nylons erklärt –, später wird er immer wieder auf Mixer und Bohrmaschinen gesteckt, geschält und zu Modellen geschnitzt.

Zunächst allerdings wird Käse in Würfel geschnitten. Wozu, das bleibt erst rätselhaft. Dann macht sich Meyer-Keller über das Wellen- und Teilchenmodell her. In einem der schönsten und poetischsten Augenblicke streuen die Performerinnen Salz aus, und machen so kaum wahrnehmbare Lichtstrahlen im Raum sichtbar. Etwas später experimentieren die vier Frauen (neben Eva Meyer-Keller Sheena McGrandles, Tamara Saphir und Annegret Schalke) mit dem Abbild, das verschiedene Objekte und Flüssigkeiten über einem Scheinwerfer projizieren. Folgerichtig spielt der an der Seite der Bühne positionierte Musiker Rico Lee dazu einen an Michael Rother erinnernden Elektro-Soundtrack ein, der perfekt das Psychedelische des Experiments unterstreicht, zumal sich im Hintergrund zeitgleich eine der Performerinnen mithilfe eines über einen flexiblen Reifen gespannten Bettlakens in ein amöbenartiges Wesen verwandelt.

Ständig wird irgendwo ein neues Experiment zusammengebastelt, plötzlich drehen sich da die auf Spieße gesteckten Käsewürfel und Weintraben an einem langen Band zur Doppelhelix, dann werden mit Drahtseilen Schwingungsmodelle illustriert und zuletzt sehen wir in einer Nebelkammer die Teilchen leibhaftig ihre Bahnen ziehen. Manchmal funktioniert etwas nicht gleich, aber die Performerinnen nehmen es immer mit Humor.

Dass das alles nicht zu einer reinen Bastelstunde wird, bei der jemand auf der Bühne das tut, was im Kinderzimmer immer verboten war, ist das erstaunlichste an diesem Abend. Natürlich möchte man als Zuschauer manchmal am liebsten auf die Bühne stürmen und mitmachen, wenn gerade mal wieder die Apfelschalen durch die Gegend fliegen und der Saft in alle Richtungen spritzt. Doch auch das bloße Zusehen ist ein großer Spaß.

Zusammengehalten wird das Geschehen vor allem durch die klug ausgewählten zumeist englisch gesprochenen Texte (Constanze Schellow), die selbst die merkwürdigsten Vorgänge auf der Bühne noch mit Sinn unterfüttern und dabei anspruchsvoll wie bildhaft um zentrale Fragen der Wissenschaft kreisen. Um das Verhältnis von Modell und Erkenntnis, das Wesen des Experiments und dessen Beziehung zur Welt. Skalen seien arbiträr, erfahren wir da etwa - und dass die größte Lust des Experiments das Warten sei. So gelingt Eva Meyer-Keller ein Abend, der witzig und überraschend, manchmal fast albern und auf unauffällige Weise sehr klug Lust auf Wissenschaft macht und vielleicht mehr darüber erzählt, als sich jemals in der Schule lernen lässt.

 

Uraufführung: 24.11.2017 (PACT Zollverein, Essen)

Konzept, Performance: Eva Meyer-Keller
Entwicklung, Performance: Sheena McGrandles, Tamara Saphir, Annegret Schalke
Dramaturgie, Text: Constanze Schellow
Wissenschaftliche Mitarbeit: Alexander Carmele
Musik: Rico Lee
Lichtkonzept: Annegret Schalke
Produktion: Alexandra Wellensiek
Koproduktion: PACT Zollverein, Sophiensaele
Gefördert durch: Hauptstadtkulturfonds

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