Die aktuelle Kritik

Figurentheater Chemnitz: "Odyssee"

von Marianne Schultz

Mit dem antiken Stoff probiert Regisseur Nis Søgaard neue Themen und Handschriften aus.

 

Odyssee in 80 Minuten

Mit Homers „Odyssee“ bringt der dänische Regisseur Nis Søgaard die griechische Antike auf die Bühne – in 80 Minuten. Dabei geht er ziemlich genau vor und vermeidet das Zerrbild eines Bühnencomics.

Namen von Göttern, von Königen, zumindest die wichtigsten, werden ganz beiläufig mitgeführt, Agamemnon beispielsweise oder Menelaos, die schöne Helena, aber auch Kyklopen, Sirenen, Meeresengen, die es zu durchfahren gilt, dazu jede Menge zauberhafte Fabelwesen. Größere Kinder, auch Erwachsene werden daran ihre Freude finden, denn das Spiel fordert die ganze Aufmerksamkeit. Zwischen Himmel, Meer und Inseln entspannt sich die starke Heldengeschichte mit Objekten, Schatten und Puppen.

Drei Protagonisten - Sophie Bartels, Arne van Dorsten und Kotti Yun - beherrschen das Spiel, sie singen, brüllen, flüstern, säuseln, sprechen im Chor. Sie bewältigen den Stoff der gewaltigen Textvorlage mit Ganzkörpereinsatz und einem Riesenarsenal an Figuren und Figürchen, das es zu bewegen gilt, von der Miniatur einer winzigen Schachfigur in der Troja-Kampfszene beispielsweise über Gliederpuppen, die sich als Odysseus und Kirke gegenüberstehen, bis hin zur antiken Büste im Kleinformat.

Damit beginnt das Spiel auch: Odysseus und Penelope (als museale Büste) schaffen sich ihr Puppenheim in Ithaka, das Zuhause ist heimelig und gerade so groß wie eine Puppenstube. Dort erleben beide ihr Glück, dort wird auch Telemachos geboren. Es ist der Ort, nach dem sich Odysseus nach vielen Jahren seiner Abenteuer zu Land und zu Wasser zurücksehnen wird.

Der Ausstatter – in Personalunion ebenfalls Nis Søgaard – und die Puppenbauer haben ganze Arbeit geleistet und eine Insel-Bühne entwickelt, über der ein Segel gesetzt ist. Gespielt wird nach dem Baukastenprinzip. Aus der Insel lassen sich mit wenigen Handgriffen die Schauplätze für die Abenteuer einrichten: Wie im Sandspielkasten wird die Schlacht um Troja geführt, bunte Figuren fliegen hin und her, Billardkugeln rollen zurück. Die Jahre der Belagerung beendet der schlaue Odysseus mit dem trojanischen Pferd – in Spielzeuggröße. Doch der kleine Held ist auf einmal lebensgroß, wird von Kotti Yun als Odysseus mit heiligem Zorn gespielt.

Dennoch: Keiner der Spieler ist auf eine Figur festgelegt, jeder spielt alles, jede Szene, jedes Abenteuer ordnet sich neu. Staunend erleben die Besucher, wie Odysseus den einäugigen, menschenfressenden Kyklopen Polyphemos besiegt. Der ist ein dicker Riese, fast gemütlich behäbig zwischen seinen Wollschafen, und er ist der Sohn des Poseidon, dessen Zorn nicht auf sich warten lässt. Wie das Meer, die Gewalten zürnen, riesige Wellen Odysseus und seine Männer zu verschlingen drohen, ist fesselnd zu sehen und füllt den Begriff „Zorn der Götter“ mit schöner Gegenständlichkeit und Getöse.

Was für Odysseus gilt, der dem Besucher ganz verschieden erscheint - klein, groß, als Puppe, als Mensch - gilt auch für die Schiffe: Artig klein entfernen sie sich übers Meer, als ferne Schatten huschen sie vorüber, ächzend gerudert wird in Lebensgröße.

Es gibt Schweine als lustige Quietschtiere – die verwandelten Gefährten von Odysseus – und eine Babypuppe mit Bart, die Odysseus‘ Sohn Telemachos 20jährig zeigt. Auch wegen dieser Vielfalt an Material bleiben die einzelnen Abenteuer in sich geschlossen und gut unterscheidbar. Die verschiedenen Spielebenen und Sichtweisen stellen aber auch eine Herausforderung an das Publikum dar, die Kinder nicht gänzlich unvorbereitet bewältigen dürften. Geraten sei zur genauen Auseinandersetzung mit den Abenteuern des Odysseus.

 

Premiere: 18. April 2015

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