Online-Lexikon - WEPA Enzyklopädie (2012) - deutschsprachige Artikel

Kasper

Kasper ist eine seit dem 19 Jahrhundert in Deutschland so beliebte Figur, dass der Begriff „Kaspertheater“ umgangssprachlich oft als Synonym für Handpuppentheater gebraucht wird. Das vielen Figuren-Varianten zugrunde liegende Spielprinzip„Kasper“ hat seine Quellen im italienischen Pulcinella-Spiel, das wiederum auf die Commedia dell’Arte zurückgeht.
Den Namen „Kasper“ für eine Theaterfigur gibt es, seit Johann Laroche (1744 – 1806) den Kasperl Larifari in der Nachfolge des Hanswurst als Lustige Figur des Wiener Volkstheaters berühmt gemacht hat. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der Kasper im deutschsprachigen Puppentheater populär; dabei sind unter der Vielzahl unterschiedlichster Figuren zwei Hauptstränge zu benennen: Einmal die Einbindung des Kaspers in die Dramatik des „volkstümlichen“ Marionettentheaters. 
Dort agiert er meist in Dienerrollen (Faust), ist Soldat oder Mitglied einer Räuberbande. Als Handpuppenkasper dagegen ist er, in unterschiedlichen regionalen und individuellen Varianten, Hauptfigur jeder Aufführung. Zu deren Typenensemble gehören unter anderem Richter, Henker, Polizist, Krokodil, Tod und Teufel.

Die Stücktexte gründen nicht auf literarische Vorlagen sondern bestehen aus tradierten Standardszenen, in denen, ähnlich wie bei Punch and Judy in England, Jan Klaassen in den Niederlanden und dem russischen Petruschka, derbe Konflikte schlagfertig ausgetragen werden. Dafür kommen Wortwitz , aber auch ein „Pritsche“ genannter gespaltener Holzstab oder Bratpfannen zum Einsatz. Am Ende steht immer die Lösung: „Kasper überlebt und stirbt nicht“. Im Zuge der mit Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzenden Instrumentalisierung im Kontext reformpädagogischer und jugendbewegter Adaption des Kaspertheaters als Kindertheater wurden nicht nur die Standardfiguren um Großmutter, Gretel und Seppl erweitert, sondern der Kasper wurde von allen rohen und derben Ausdrucksformen „gereinigt“ und domestiziert (Deutschland, nationaler Artikel, Teil I und III; Max Jacob; Reichsinstitut für Puppenspiel). Voraussetzung für diese sich bis heute fortsetzende Indienstnahme für moralisierende und erzieherische Zwecke jeder Couleur war nicht zuletzt die Umformung des Kasper in eine Figur der dramatischen Literatur durch den Grafen Pocci. In der letzten Zeit ist, nicht nur in Deutschland, eine Tendenz zur Wiederbelebung des Kasper im Sinne einer alternativen Lachkultur mit subversivem Potential zu beobachten. (Peter Waschinsky; Theater o.N). Mit diesem Prinzip spielend und zugleich eine neue, intellektuelle Umdeutung etablierend, sieht sich der Kasper zu Beginn des neuen Jahrtausends in Inszenierungen junger Puppenspieler als komisch-philosophischer Querkopf auch mit der Infragestellung seines obligatorischen Überlebens konfrontiert, womit wieder das Überleben des Kasper-Prinzips als solches zur Debatte gestellt ist.

Anke Meyer

Literaturauswahl
zu Kasper und anderen komischen Figuren des europäischen Puppentheaters

Bernstengel, Olaf, Taube, Gerd, Weinkauff, Gina (Hg.): „Die Gattung leidet tausend Varietäten...“. Beiträge zur Geschichte der lustigen Figur im Puppenspiel. Frankfurt Main 1994
Miller, Norbert / Riha, Karl (Hg.): Kasperletheater für Erwachsene. Frankfurt am Main 1978
Taube, Gerd: Puppenspiel als kulturhistorisches Phänomen. Vorstudien zu eine Sozial- und Kulturgeschichte des Puppenspiels. Mit kommentierter Bibliographie. Band 14 der Reihe Theatron – Studien zur Geschichte und Theorie der dramatischen Künste. Tübingen 1995
Miller, Alexandra: Kasperl im Wandel der Gewänder. Zur Geschichte eines Spielprinzips.
In Miller Alexandra (Hg.): Niemand stirbt besser. Theaterleben und Bühnentod im Kaninetttheater. Wien 2005
Weinkauff, Gina: Der Rote Kasper. Das Figurentheater in der pädagogisch-kulturellen Praxis der deutschen und österreichischen Arbeiterbewegung von 1918-1933. Band 8 der Reihe Puppenspielkundliche Quellen und Forschungen. Bochum 1982
Obraszow, Sergej: Mein Beruf. Deutschsprachige Ausgabe DDR-Berlin 1984, Originalausgabe Moskau, 1980
And, Metin: Karagöz. Turkish Shadow Theatre. Istanbul 1975

Bildnachweis: Traditionelle Handpuppe aus dem Kaspertheater von Alfred Treuner (1875-1947), Dresden, Bildvorlage: Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Puppentheatersammlung