Die aktuelle Kritik

Schaubude Berlin: "Mutter Krausens Fahrt ins Glück"

von Lena Abushi

Mutig: Flunker Produktionen zeigen eine ausführliche Stummfilm-Adaption ohne Worte.

 

Mutige Stummfilm-Adaption

 

Ein mutiges Unterfangen sind Flunker Produktion an der Schaubude Berlin eingegangen: Mit "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" zeigen sie ohne Worte die Figurentheater-Adaption eines Stummfilms von Phil Jutzi aus dem Jahr 1929. Um über die Runden zu kommen, geht sie Zeitungen austragen. Mutter Krause ist eine alte, traurige Frau und lebt in ärmlichen Verhältnissen. Von ihrer Familie erfährt sie keine Unterstützung. Tochter Erna bandelt mit einem Arbeiter der kommunistischen Partei an und Sohn Paul versäuft ihr Erspartes in der Bar. Und als wäre das nicht genug, sind da auch noch die lästigen Untermieter: der kriminelle Schlafbursche und seine Geliebte, eine Prostituierte, und ihr gemeinsames Kind.

 

Eigentlich ist der Stummfilm "Mutter Krausens Fahrt ins Glück", den Regisseur Phil Jutzi in Berlin ein paar Jahre vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten drehte, eine ergiebige Vorlage für ein Theaterstück. Jeder kennt Figuren wie die leiderprobte Mutter Krause und ihre Lebensgenossen aus dem realen Leben. Gerade deswegen bleiben diese Charaktere, auch wenn sie keine Neuentdeckung sind, stets interessant. Arbeiten über das Berliner Milieu, sei es in den Zwanzigern oder heute, begeistern das Publikum immer wieder.

 

Regisseur Hendrik Mannes führt "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" in der Berliner Schaubude als Puppenspiel auf. Die Puppen sind passend zu den 20er Jahren gekleidet - Krausens Tochter im roten, anzüglichen Kleid, die Prostituierte im rosa Rüschenoutfit, Arbeiter Max im blauen Anzug und Mutter Krause in abgetragener Arbeitskleidung. Die durchweg weit aufgerissenen, großen Augen der Puppen warten darauf, mit ausdrucksvollem Leben gefüllt zu werden. Ein großes, verästeltes Metallgestell mit vielen Haken zum Aufhängen der Puppen steht in der Mitte der Bühne und gibt wörtlich den Rahmen für das Miteinander der Figuren: Hier wird platziert, wer gerade "dran ist". Im Hintergrund hingegen wird alles vor den Augen des Publikums abgestellt, was gerade nicht gebraucht wird: Plakate, die schon dran waren oder noch dran kommen und eine Menge anderes Gerümpel. So eine Unordnung kann einen gewissen "Selfmade"- Charme erzeugen. In diesem Fall lenkt sie das Auge des Zuschauers ab, der sich auf die vergleichsweise kleinen Puppen konzentrieren will.

 

Die Spieler Claudia Engel und Matthias Ludwig stehen von Anfang an im Vordergrund. Sie laufen, zunächst ohne die Puppen, die am Rand auf ihren Einsatz warten, auf die Bühne. Engel kaut laut Kaugummi (übrigens das ganze Spiel hindurch) und Ludwig beginnt lässig damit, die ersten Plakate aufzurollen: darauf steht in großen, leserlichen Buchstaben in Berliner Mundart der Sprechtext der Puppen. Regisseur Hendrik Mannes Idee, die Hauptvorgabe der Gattung Stummfilm zu befolgen (die Puppen sprechen nicht), ist charmant, aber sehr ambitioniert.

 

In den meisten Szenen gelingt es den Darstellern nicht, die Puppen zum Leben zu erwecken. Zu schwach ist die Interaktion zwischen den einzelnen Figuren, welche wortwörtlich von Szene zu Szene geschleift werden. Die Beziehung der einzelnen Puppen zueinander wird nur mit großer Anstrengung und nach einiger Weile klar. Engel und Ludwig halten den sensiblen Moment des Puppenspiels nicht lange genug aus: Genau dann, wenn das Kopfkino anfängt, die Augen des Betrachters die Puppe mit Leben füllen wollen, geben die Schauspieler die Szene auf und zerren die Puppe wieder an den Rand der Bühne, wo sie nutzlos bis zu ihrem nächsten Einsatz herumhängt. Bald tun dem Betrachter die Puppen fast leid, und das nicht wegen der dramatischen Geschichte, die mühevoll vermittelt wird, sondern weil sie so "respektlos" behandelt werden.

 

Dabei zeigt sich in einzelnen Szenen großes Potential. Etwa, als Arbeiter Max mit Krausens Tochter schwimmen geht. An dieser Stelle harren Engel und Ludwig länger aus, die Puppen interagieren, die Spieler vollziehen kleine, detaillierte Bewegungen - das Publikum erkennt mühelos zwei schwer verliebte Charaktere. Als Familie Krause Besuch bekommt, ist im Raum Lachen zu vernehmen: Eine riesige Puppe mit einem weit dehnbaren Mund verschlingt, ganz langsam, ein Stück Kuchen nach dem anderen. Die Szene ist richtig komisch: Das riesige Gesicht bekommt während des ausgiebigen Gastmahls komische Züge, einen gierigen Mund und gleichgültige Augen. Die Szenen, in denen das in quietschgelben Kleidern angezogene Puppenkind mit den zerzausten Haaren mit seinem Wippstuhl oder Kreisel spielt, wirken zwar inhaltlich aus dem Zusammenhang gerissen, vermitteln jedoch ein lebendiges Bild von einem spielenden, verlorenen Kind.

 

Es gibt sie also doch, die Momente, in denen die Puppen aus "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" anfangen zu leben. Doch es sind zu wenige, in dem durchaus mutigen Unterfangen eines insgesamt zweieinhalb Stunden langen Stücks ohne Worte.

 

 

Premiere: 29. Mai 2015

 

Foto: Melanie Slowi

 

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