Die aktuelle Kritik

Schauplatz International im HAU Berlin: "Idealisten"

Von Tim Sandweg

Zwei Idealisten beginnen nach zu viel Reden, zu schweigen. Ein schwieriger Abend.

 

Foto: Dorothea Tuch

 

Ohne Worte

Zwei Idealisten betreten die Bühne. Anna-Lisa Ellend und Lars Studer. Beide Mitglieder der in Bern und Berlin ansässigen Formation Schauplatz International. Sie haben viel geredet, sagen sie. Jetzt wollen sie beginnen zu schweigen. Außerdem soll jetzt gehandelt werden. Der eiserne Vorhang öffnet sich. Anna-Lisa und Lars betreten die große schräge Flucht. Die unzähligen Kanten und Schlitze der Fläche werden illuminiert. Lars stürzt in eine Spalte und slapstickt sich minutenlang wieder heraus. Dann beginnt Martin Lorenz Schlagzeug zu spielen. Und Silke Lange Akkordeon.

Die Komposition orientiert sich laut Programmfaltblatt an mathematischen Proportionen. Die Bühne wahrscheinlich auch. Ersterer hört man das nicht unbedingt an. Ein architektonisches Modell, genauso wie der Bühnenraum entwickelt vom kollektiven Architekten-Netzwerk raumlaborberlin, wird auf die Bühne getragen. Anna-Lisa und Lars öffnen die Bodenklappen der Schräge, legen Werkschürzchen an und holen nach und nach immer mehr mit heller Leinwand bespannte Rahmen, geometrische Formen und Stäbe hinzu. Mit Steckscharnieren und Kabelbindern setzen sie die Dinge modelbauartig zusammen. Es wird eine bühnengroße Installation.

Idealisten wirken in ihrem stetigen Scheitern an der Umsetzung ihrer Ideale in die Realität auf ihre Umwelt ähnlich slapstickhaft wie Komiker, meint Schauplatz International. Das ist auch die ästhetische und inhaltliche Grundthese, die auf zwei Stunden ausgewalzt wird. So suchen Anna-Lisa und Lars das komische Scheitern im Kampf mit den Dingen. Sie zwängen sich durch zu enge Leistenluken und gehen dabei den Weg des größten Widerstandes. Martin Bieri taucht immer wieder auf und reicht Gegenstände an Anna-Lisa und Lars, die sie gerade nicht gebrauchen können. Zum Beispiel eine Geige. Anna-Lisa versucht gleichzeitig zu spielen und ein Bodenteil aufzurichten.

Manchmal wirkt das tatsächlich wie Slapstick, viel öfter aber verschroben und hermetisch. Halt so, wie Idealisten, die den Praxistest starten, auch verschroben und hermetisch auf ihre Umwelt wirken. Albert Liebl tritt immer wieder mit Ganzkopf-Kuscheltiermaske auf. Er trägt ein Band mit roter Laufschrift auf die Bühne. „Life ist hard. Art ist harder“, ist da zum Beispiel zu lesen. Idealisten stellen sich, genauso wie Komiker, ihre Fallen selbst. Auch das ist rot zu lesen. Aber stellt sich der eine diese nicht bewusst, der andere unbewusst? Nach 70 Minuten senkt sich arkadenhaft ein großes Tuch vom Schnürboden. Nach 80 Minuten übergibt Martin das Denkmal für den Idealismus an die Öffentlichkeit. Also an uns. Wir stehen auf, wir knien nieder. Dann besinnen wir uns für einen ironischen Moment fünfmaligen Ein- und Ausatmens. Dann wird das Denkmal wieder abgebaut. Dabei läuft Buster Keaton über die Rückwand. Ob Buster Keaton ein Idealist des Scheiterns war?

Martin setzt sich auf einen Stuhl und beginnt zu lesen. Wir bekommen auch schwarze Bücher. Der Titel der Performance ist darauf zu lesen. Auf gut 60 Seiten berichten Anna-Lisa, Martin, Lars und Albert Ihr-Perspektive von ihrem Recherche-Trip nach Italien. Sie haben zentralperspektivische Architektur besichtigt und viele Gespräche geführt. Es scheint interessant gewesen zu sein.

 

 

"Idealisten"
Premiere: 9. Januar 2014 im Hebbel am Ufer, Berlin
Idee, Konzept, Realisation: Schauplatz International
Mit Martin Bieri, Anna-Lisa Ellend, Albert Liebl, Lars Studer | Konzept, Raum, Kostüme: raumlaborberlin (Axel Timm, Nicole Timm) | Komposition, Schlagzeug: Martin Lorenz | Akkordeon: Silke Lange | Technik, Lichtdesign: Max Stelzl | Produktionsleitung: Ralf Grunwald, Eva-Maria Bertschy | Recherche und Vermittlung Italien: Anna Gubiani

 

www.schauplatzinternational.net      -       http://www.hebbel-am-ufer.de

 

 

In Zusammenarbeit mit double - Magazin für Figuren-, Puppen- und Objekttheater

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