Die aktuelle Kritik

Half past selber schuld: "Kafka in Wonderland"

von Max Florian Kühlem

Das Düsseldorfer Künstler-Duo schaut mit einem neuen Bühnencomic in die Zukunft.

 

Weder Josef K. noch Alice

Wenn Menschen an die Zukunft denken, dann schwankt ihre Vorstellung zwischen Beruhigung und Beunruhigung, Utopie und Dystopie. Dazwischen ist oft nur ein schmaler Grat. Wird es so sein, wie uns die Berichterstatter der einschlägigen Technikmessen weismachen wollen: Smarte Häuser nehmen uns die Arbeit ab, Autos fahren von selbst – alles verläuft sauber, glatt, geplant, in Watte gepackt? Müssen wir in dieser langweiligen Welt möglicherweise ewig leben? Oder steuern wir auf eine Überwachungsgesellschaft zu wie in „1984“ oder „Demolition Man“? Auf den schmutzigen Krieg um Wasser, auf die Atom-Apokalypse?

Das Düsseldorfer Künstler-Duo halb past selber schuld (Ilanit Magarshak-Riegg und Sir ladybug beetle) hat sich in seiner neuen Produktion „Kafka in Wonderland“ nicht bis zur Apokalypse hinausgewagt, aber sich des Themas Transhumanismus angenommen. Der Begriff bedeutet eine philosophische Denkrichtung, die die Grenzen menschlicher Möglichkeiten durch den Einsatz technologischer Verfahren erweitern will. Hierin steckt wohl mehr Potential für das Genre des Bühnencomics, deren Erfindung die deutsch-israelische Truppe für sich beansprucht.

Ein Bühnencomic von half past selber schuld ist ein kurzweiliger, komplett durchchoreographierter und durcharrangierter Abend, in dem Puppen- und Figurenspiel, (animierter) Film und Musical-Elemente ineinandergreifen. So führt das auf acht Spieler erweiterte Team die Zuschauer in den auch am zweiten Vorstellungstag komplett ausverkauften Kammerspielen des Düsseldorfer Forum Freies Theater (FFT) leichtfüßig in die Welt der Zukunft. Dort kann jeder entscheiden, wie lange er leben will: 400 Jahre? 800 Jahre? Ewig? Wird der Körper hinfällig, ist es jedem Menschen möglich, sein Bewusstsein in eine Cloud zu laden und dort weiter zu leben. Welche Gesellschaft sie dabei haben, ist auch dem Geldbeutel geschuldet.

Die Cloud ist auf der Bühne wirklich eine weiße Wolke und auf der sitzt – Jesus, wer sonst. Auf einmal poppt neben ihm ein hochgeladenes Bewusstsein auf, eine weitere Stabpuppe mit dem für die Truppe typischen Knautschgesicht. Geführt wird sie auf der spärlich ausgeleuchteten Bühne von praktisch unsichtbaren, schwarz gekleideten Spielern. „Ich bin Atheist“, stöhnt sie, „was soll ich ausgerechnet bei Jesus?“

In einem Reigen munterer Einzelszenen, die nur locker miteinander verbunden sind, streift die Inszenierung viele Zukunftsthemen: Ein selbst fahrendes Auto muss sich in einer kniffligen Situation entscheiden, welchen Verkehrsteilnehmer es opfert. Ein Paar, das sich keine „schmutzige“ Menschengeburt vorstellen kann, bestellt einen Fötus, den man bequem in der Mikrowelle zum Leben erwecken kann. Ein Serienmörder wird per Gehirnmanipulation auf schräge Art in die Gesellschaft integriert. Eine tanzende Kriegsmaschine philosophiert mit zwei Todgeweihten.

In letzteren Szenen agieren Schauspieler auch offen auf der Bühne. In anderen führen sie Objekte, die im Schwarzlicht neonfarben schimmern. Zwischen den Szenen flimmern „Nachrichten aus der Totenwelt“ über die Leinwand. Das alles ist unterhaltsam, oft komisch, aber nicht immer tiefgründig oder allzu hintersinnig. Philosophie gibt es hier höchstens in leicht verdaulichen Häppchen. „Kafka in Wonderland“ wird seinem Titel nicht gerecht: Weder beschwört die Inszenierung die grenzenlose Phantasie und anarchische Kraft von Lewis Carrolls Wunderland, noch lässt sie das Unbehagen und die bizarre Rätselhaftigkeit von Kafkas Werken aufscheinen.

 

Premiere: 26. April 2017 im FFT Düsseldorf

Regie, Konzeption, Musik: half past selber schuld
Co-Autor, Co-Regie: Eli Zachary Socoloff Presser
Musik: half past selber schuld, Sven Kacirek
Choreografie: Francesco Pedone
Liveteam: half past selber schuld, Florian Deiss, Kevin Klimek, Francesco Pedone, Bruno Belil, Gianfranco Celestino, Niklas Füllner
Lichtdesign: Tobias Heide
Musikmix, Ton: Lex Parka
Puppen, Requisiten: half past selber schuld, Florian Deiss, Kevin Klimek, Bruno Belil, Jeanette Wohlfeil, Theresia Koppers
Koproduktion: FFT Düsseldorf, Theater im Pumpenhaus Münster, Tafelhalle Nürnberg, das Internationale Figurentheaterfestival Erlangen, Nürnberg, Fürth, Schwabach. Gefördert durch: Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, Kulturamt der Stadt Düsseldorf, Fonds Darstellende Künste und Stiftung van Meeteren. Freundliche Unterstützung von: Firma A. Haussmann Theaterbedarf GmbH

 

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