Die aktuelle Kritik

Deutsches Theater Berlin: "Medea. Stimmen"

von Tom Mustroph


Christa Wolfs Umdeutung der Medea-Geschichte in einer gelungene  Synthese von Schau- und Puppenspiel.

 

Tilmann Köhler folgt in "Medea. Stimmen" Christa Wolfs Umdeutung der Medea-Geschichte und setzt dabei Puppen für die Repräsentation der zahlreichen toten Kinder ein. Als Höhepunkt des Cometogether von Puppentheater und Staatstheater sieht man auch die Ensemblemitglieder des Deutschen Theaters die Puppen führen.

Arbeit an der Fake-Saga

Wie stellt man einen zerstückelten Körper dar, den des Absyrtos etwa? Mit Worten ist es möglich, natürlich, mit Projektionen auch. Rein dinglich wird die Sache schwieriger. In der Produktion "Medea. Stimmen" am Deutschen Theater legt Puppenspielerin Johanna Kolberg Kopf, Hände und Füße des laut der Argonautensaga von einer wilden Frauenhorde zerstückelten Körpers des Bruders von Medea in einem flachen Wasserbecken aus. Sie durchbohren die glitzernde Oberfläche wie kleine Klippen. Sie zeichnen eine Tat nach und markieren einen Tatort.

Weitere Morde werden dargestellt. Iphinoe taucht als lebensechter Kinderkörper mit blassem Antlitz und blonden Locken wieder auf (Puppenbau: Franziska Stiller, Karen Schulze, Andreas Müller). Sie, ältere Tochter des Königs Kreon, wurde von Letzterem durch Mord aus dem Weg geschafft, um die eigene Macht zu sichern. Die Präsenz dieses Kindes, vom Hades wieder auf die Seite der Lebenden zurückgeholt durch die Animation Kolbergs, ist Beleg und visueller Bezugspunkt für den politischen Mord. Iphinoes Anwesenheit ist zugleich auslösendes Moment für den Erkenntnis- und Erinnerungsprozess ihrer Schwester Glauke. Kathleen Morgeneyer lässt dieses schmerzhafte Vortasten ihrer Figur in die Abgründe des eigenen Wissens und Ahnens  über den Tod der Älteren in den Wahnsinn kippen. Das Publikum begleitet sie dabei, ein Auge auf Glauke gerichtet, das andere auf die Iphinoe-Puppe. Diese Ko-Präsenz ist ein so einfacher wie verblüffend wirksamer Motor für die Entfaltung der auf sechs Einzelstimmen verteilten Erzählung.

Auch Medeas Kinder sind Puppen in Gestalt sehr realistisch wirkender Kinder. Der Mord an ihnen geschieht eher beiläufig. Zwei Spieler halten plötzlich die Köpfe in der Hand. Die Körper sind getrennt von ihnen, umschlungen von der Medea-Darstellerin Maren Eggert. Es ist eine szenische Vorwegnahme. Diese Kinder sind bereits geköpft, als die Erzählung über ihren Mord noch lange nicht begonnen hat. Diese zeitliche Entkopplung  bewirkt einen Verstärkungseffekt der grausamen Tat. Man sieht das Ergebnis mit eigenen Augen schon, während sich das Tun, das in diesen Akt mündet, erst entfaltet.

Die Unausweichlichkeit eines politischen Spiels stellt sich so her. Denn Wolf erzählt den Kindermord als Teil eines Ränkespiels, um die in ihrer Version gerade verbannte Medea für alle Zeiten als Kindsmörderin im Bewusstsein der Welt zu verankern. Daher das Ritual, alle sieben Jahre sieben Kinder kahl zu scheren und in den Tempel zu sperren. Ein Ritual zum Erinnern an eine Tat, die, laut Wolf, von anderen begangen wurde, aber als Mord durch Medea ins kulturelle Gedächtnis gesetzt werden soll.

Medea, erst recht diese Kinder, sind in Wolfs Darstellung Opfer eines wütenden Mobs. Das lässt bei dem lange am Dresdner Schauspiel gearbeitet habenden Regisseur Köhler schnell den Assoziationsweg zu Pegida einschlagen. Wütende Menschen, denen Ziele für ihre Wut geliefert werden, die diese Einladung annehmen und die politische Macht derer sichern, die auf der Welle des Volkszorns zu reiten verstehen.

Köhler lädt mit dieser Antikenassoziation zu Pegida zu einer interessanten Deutung des Phänomens ein. Er zeichnet den Hass und die Blutgier nach, die zuweilen sehr deutlich aus den Worten und aus den Gesichtern des anheizenden Personals hervortreten. Köhler sperrt diese Meute aber nicht in den gedanklichen Horrorzoo des Nationalsozialismus ein, der gängigen medialen Erregungs- und Darstellungsform. Er schlägt vielmehr Bögen zu Meuten früherer Kulturen des Abendlands. Zu denen etwa, die Menschenopfer praktizierten, im Glauben, sich damit vom Bösen zu befreien. Und auch an die römischen Tribunen mag man denken, Vertreter des Plebs, die den Zorn befeuerten und dadurch selbst politische Karriere machten.

Ihr Vertreter ist in diesem Spiel der kühle Machttechniker Akamas, erster Astronom des Königs (Helmut Mooshammer). Gespiegelt wird sein Tun gleich dreifach: Im zunehmenden Wahnsinn Glaukes, in der von Verzweiflung noch befeuerten Souveränität Medeas, die offenen Auges ihrer Vernichtung entgegen geht, und im alles wissenden, alles verstehenden, sich aber nie zu einer Haltung durchringenden Leukon, dem zweiten Astronomen, einem Außenseiter am Hof, der sich zu Medea hingezogen fühlt. Sie alle sind berstende Reflektionsflächen eines sich brachial entfaltenden machtpolitischen Willens.

Ein intensives Stück, starke Darsteller und eine gute Raumidee, denn alles ereignet sich in einem großen, zweifingerhoch mit Wasser gefüllten Becken. Und außerdem eine gelungene  Synthese von Schau- und Puppenspiel. Am Ende werden die beiden Kinder Medeas und Jasons von fast dem gesamten Ensemble animiert; Johanna Kolberg, selbst als Gefährtin Medeas ins Spiel integriert, gibt ihre Kompetenz an die Kollegen weiter. Ein schönes Sinnbild für den aktuellen Trend, Puppenspiel immer selbstverständlicher ins Schauspiel auf der großen Bühne zu integrieren.

 

Premiere: 05.04.2018
wieder am 20.04, 27.04., 04.05., 11.05. und 26.05.

Foto: Arno Declair

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