Die aktuelle Kritik

Schauspielhaus Dortmund: "Die Möglichkeit einer Insel"

von Ulrike Weidlich

Sputnic drehen auf der Bühne einen Live-Animationsfilm nach Michel Houellebecqs Roman.

 

Foto: Hupfeld

Foto: Birgit Hupfeld

 

Symbiose aus Schauspiel und Technik am Tricktisch

Allzu oft wird die Utopie zur Dystopie. Was zunächst verlockend erscheint, entpuppt sich als Irrtum. Dass es sich so auch mit der Unsterblichkeit verhält, wurde am Schauspielhaus Dortmund in der Inszenierung „Die Möglichkeit einer Insel“ einmal mehr verdeutlicht.

Michel Houellebecq veröffentlichte 2005 mit seinem gleichnamigen Science-Fiction-Roman einen Bestseller. Das Krefelder Design- und Künstlerkollektiv sputnic (Malte Jehmlich, Nicolai Skopalik, Nils Voges) zeigt nun in einer Symbiose aus Technik und Schauspiel, wie man eine solche Vorlage mutig umsetzt, und lotet ganz neben aus, was ein Theaterabend alles sein kann.

Die Welt, wie wir sie kennen, ist nicht mehr. Glück hat, wer sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts der Sekte der Elohim anschloss: Überzeugt, von Außerirdischen erschaffen zu sein, propagiert sie das Kommen ihrer Schöpfer und setzt dabei auf Unsterblichkeit. Die führt über das Klonen. Und ihr Prophet lag richtig. 4014 gibt es, abgesehen von ein paar archaischen Wilden, nur noch eben diese Zellnachkommen, einer von ihnen ist Daniel24.

In sorgfältigen Choreografien bewegen sich die Schauspieler (Andreas Beck, Frank Genser, Bettina Lieder, Merle Wasmuth), die in ihren futuristischen Kutten wie die Schöpfer selbst anmuten, an den Tricktischen. Sie legen die Animation-Plates auf, die dann auf die Leinwand projiziert werden, bedienen rote Knöpfe, mittels derer sie die Komposition der Bilder steuern, sprechen Texte und stellen dar. Die Vier rotieren so zwischen den Funktionen Darsteller, Sprecher und Techniker. Damit folgen sie nicht nur konsequent einer ästhetischen Entscheidung, sondern bauen auch Spannung auf.

Sie erzählen die Geschichte von Daniel1' genetisch identischer Nachkommenschaft, die bereits in der 25. Generation ihr Dasein fristet. Und weil der Mensch eben erst durch seine Entwicklung im Leben zu dem wird, was er ist, und auch die Elohimisten nicht wissen, wie man das in eine DNA packt, muss jeder Klon Aufzeichnungen machen und die seiner Vorgänger studieren. So werden wir Zeugen des Wandels der Menschheit und erfahren, dass, wer seine Unterkunft verlässt, die Unsterblichkeit aufgibt.

Mit „Die Möglichkeit einer Insel“ erprobt man in Dortmund weiter die Grenzen des Dogma 20_13, jenes Manifests, das von der Auferstehung des Films im Theater spricht. Daran büßt die Erzählung keineswegs ein. Ganz im Gegenteil, sputnic lassen durch ihre Ästhetik den groben Bildern (Julia Praschma, Julia Zejn), der Geschichte - und somit auch der Imagination des Publikums - viel Raum. Das ist durchaus eine Stärke, verlangt dem, der die komplexe Geschichte und die schnell wechselnden Bilder begreifen will, aber auch einiges an Konzentration ab. Zu verführerisch ziehen die laboratoriumsartige Bühne und die auf ihr manuell erzeugten Livebilder den Fokus der Aufmerksamkeit auf sich.

 

Premiere: 28. März 2015

Schauspiel Dortmund
Konzept & Regie: sputnic (Nils Voges)
Bühne & Kostüm: sputnic (Malte Jehmlich)
Spiel: Andreas Beck, Frank Genser, Bettina Lieder, Merle Wasmuth

0 Kommentare

Neuer Kommentar