Die aktuelle Kritik

Schaubude Berlin: "Der Schaum der Tage"

von Tom Mustroph

Experimentierfreudige Fassung des Kult-Romans der Gruppe K plus.

 

Boris Vian und die Messebauwand

An Experimentierfreude mangelte es der mit Samira Lehmann und Stefan Wenzel erweiterten Gruppe K plus aus Leipzig, dem Sauerland und bei dieser Produktion Stuttgart bei der Bearbeitung von Boris Vians Kultroman "Der Schaum der Tage" nicht. Zur Premiere in der Berliner Schaubude wurde tatsächlich mit allerlei Luft-Wasser-Apparaturen auf offener Bühne Schaum erzeugt. Auch die im Raum verteilten Musikinstrumente wurden ähnlich experimentell zur begleitenden Geräuscherzeugung eingesetzt. Zudem wurde in Wasserbottichen gewatet und damit Plätschern erzeugt - ganz old school wie der Geräuschemacher früher im Film. Das war Mut zur Objekterprobung. Sogar eine mobile Messewand, die sich von einem kleinen Bündel Metallstangen zu einem mehrere Meter großen, mal stehenden, mal sogar schwebenden Objekt verwandeln ließ, war im Einsatz.

All diese Aktionen verbanden sich prächtig mit dem wilden Geist des Romanciers und Jazzmusikers Boris Vian. Der gelernte Ingenieur aus Paris war so etwas wie der französische Kafka. Gleich seinem Prager Geistesgenossen war er von den Tiefen bürokratischer Systeme fasziniert. Sein zweites Leben als Jazzmusiker befreite ihn - und sein Schreiben - allerdings auf eine sehr luftige, nun ja, schaumige Art aus diesen Gefilden. Zudem musste Vian den gesteigerten Irrsinn den 2. Weltkriegs miterleben, was den schrillen Eskapismus seiner Figuren noch verstärkt haben dürfte.

Diesen Geist vermag die von Regisseur Hendrik Mannes geführte Truppe von fünf Figurentheaterspielern (neben Lehmann & Wenzel noch Maik Evers, Jan Jedenak und Katharina Muschiol) immer wieder in kleinen Szenen zu bannen. Stefan Wenzel als Hauptprotagonist Colin, ein begüterter Lebemann mit künstlerisch-intellektuellen Ambitionen und zugleich von seltsamer Lebensschlaffheit gezeichnet, wird von seinen Kollegen anfangs als Puppe über die Bühne bewegt.

Bald ermächtigt er sich jedoch und weist den anderen Figuren im Vianschen Universum ihren Platz zu. Der Geliebten Chloe (Lehmann), der bald Seerosen aus der Lunge wachsen. Dem Koch Nicolas (Evers), der auf der Bühne seltsame Substanzen erhitzt, in Reagenzgläser füllt und an die anderen Spieler verteilt. Und auch dem Freund Chick (Jedenak), dem er mit verschämten Geldzuwendungen das Leben erleichtert, zeigt er sein Revier auf. Chick hat Vian zudem die Eigenschaft zugeschrieben, ein großer Verehrer von Jean-Paul Sartre (im Roman zu Jean-Sol Partre verballhornt) zu sein. Im Sartre/Partre-Duktus wird dann also agiert. Die literarische Liebe zu Jean-Sol freilich kippt um in Verzweiflung, als Chicks Geldmittel nicht mehr ausreichen, das neueste Partre-Werk zu erwerben. Also will er den Autoren vom Produktionsstopp überzeugen. Bei der Nachstellung von Partres letzter Vorlesung kommt denn auch die formidable Messewand als gigantisches Deckenelement und Menschen verschlingende Skulptur zum Einsatz.

Leider gelingt es Regisseur Mannes nicht, all diese schillernden Elemente in einer dramaturgischen Struktur miteinander zu verknüpfen. Miniszene reiht sich an Miniszene. Zwischendurch müssen immer mal wieder die Apparaturen eingerichtet werden. Das lähmt.

Natürlich, ein Konsumenten freundliches Seitenverschlingewerk war auch Vians Vorlage nicht. Der Leser allerdings hat die Freiheit, sich nach eigener Intuition von Episode zu Episode zu bewegen, vor- oder zurückzublättern, das Buch auch einmal aus der Hand zu legen. Das Format des Frontaltheaters über knapp zwei Stunden erlaubt dies aber nicht - und führte sogar zu Fluchtimpulsen bei denen, denen Vians Eskapismus zuvor unbekannt gewesen sein mochte. In einer eher installativeren Anordnung jedoch mit sich bewegen könnendem Publikum hätte dieser "Schaum der Tage" das Zeug zu einem ganz außerordentlichen Objekttheaterabend.

 

Premiere: 22. April

Foto: Peter Ardmar

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