Die aktuelle Kritik

Puppentheater Gera: "Sommernacht im Wintergarten"

von Tatjana Mehner

Drei Darstellerinnen bitten zum Tanz der Erinnerungen und lassen sie damit lebendig werden.


Erinnerungen aus dem Ballsaal

„Die Puppen tanzen lassen ...“ - eigentlich hatte das Sprichwort eine ganz andere Bedeutung. Oder vielleicht doch nicht? Es sind die Puppen der Erinnerung, die die drei Damen - Akteure der „Sommernacht im Wintergarten“ in der Bühne am Park in Gera tanzen lassen. Und eigentlich sind die Puppen auch keine Puppen, sondern die Erinnerungen selbst, die lebendig werden, sich mit den Damen verwandeln. Und mit dem Kellner, jener mysteriösen Gestalt, die ihren Zauber aus der Attitüde des gelangweilt Unbeteiligten zieht.

Der Schauplatz der Neuproduktion des Puppentheaterensembles von Theater & Philharmonie Thüringen ist ein Ballsaal - mit Tresen und Konzertmuschel, Bistromobiliar und vielerlei geheimnisvollen Geschichten, die in den Dingen schlummern und in den Getränken, in Klängen, und die eine laue Sommernacht eben zu erwecken vermag. Frank Soehnle hat das assoziative Theater mit den Spielern Marcella von Jan, Lys Schubert, Sabine Schramm und Lutz Großmann entwickelt und jene Puppen entworfen, mit denen die Darsteller interagieren - in vielfältiger Hinsicht, im tatsächlichen und im übertragenen Sinne tanzen. 

Drei Damen betreten die Szenerie - nicht alt, nicht jung. Auch sie haben definitiv schon bessere Zeiten gesehen, aber auch schlechtere - auf die wirft sie der Ballsaal zurück. Aus Gläsern und aus Ecken steigen sie auf, die Gespenster der Erinnerung. Fügen sich mal aus Federn zusammen, sind mal minutiös gestaltete Marionetten. Unterschiedliche Spielweisen verschmelzen in dem von Jan Hofmann geschaffenen ebenso funktionalen wie fantastischen Bühnenraum. Mal sind es Einzelschicksale, mal kollektive Erfahrungen, wovon die Rede ist. Es geht um Lebensgefühl und um subtile Ereignisse. 

Ein Teufelchen stupst immer wieder das Geschehen an. Und der Kellner, aus dem Großmann ein echtes Kabinettstück macht, wird zur Projektionsfläche der Erinnerungsfantasien jener Damen, die im Ballsaal und in Ballsälen Einiges erlebt haben, das wieder an die Oberfläche tritt: Schönes und Hässliches, Trauriges und Witziges, einsam oder in Gesellschaft. Poetisch sind die Bilder, in denen hier Geschichte und Geschichten erzählt werden. Ästhetik pur - ohne ästhetizistisch zu werden: Ein Gesamtkunstwerk aus Klang und Bewegung, in dem ein wahrhaftes Wechselspiel zwischen Puppen und Spieler entsteht - echte Interaktion eben. Geschichten werden Assoziationsketten, und Assoziationsketten fügen sich zu neuen Geschichten. Eine fesselnde Sinnlichkeit entwickelt sich in dem Spiel ohne Worte, durch das sich eine klare musikalische Linie zieht. Das Ensemble Freiraum Syndikat - in der Besetzung Cello, Flöten und Jazz-Gitarre - sitzt in der Konzertmuschel und entwickelt ein assoziatives Klanggewebe, das anspielungsreich und schlicht schön einerseits fesselt und andererseits den Faden fortspinnt, wo das Spiel abreißt, und umgekehrt. Kongenial greifen die Ebenen ineinander. Historische Anspielungen lassen die Geschichte überzeitlich werden - die Damen als Kriegerwitwen und Hippies, als Salondamen und Gattinnen durchlaufen immer die gleichen Gefühlswelten immer anders. Von großen Hoffnungen und Enttäuschungen, von Sehnsüchten und Wünschen erzählen die Episoden. Theater für alle Sinne, dem wohl jeder etwas abgewinnen kann, repräsentiert diese neue Produktion aus Gera. 

Foto: Stephan Walzl

 

Premiere: 27.Juni 2015

 

 

 

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