Museen

Die Puppentheatersammlung Dresden - Einzigartig und stets im Kampf um jeden cm²

von Dr. Katharina Loch

In Dresden, auf einer Anhöhe über der Neustadt, thront ein wahres Kuriosum: die Ende des 19. Jahrhunderts erbaute Garnisonskirche. Von außen ein opulenter, mit zahlreichen Türmchen und Erkern behangener, aber sonst nicht besonders merkwürdiger Bau, erweist sie sich von innen als Doppelwesen mit gespaltener Persönlichkeit.

Das eine Dach umfasst zwei, strikt von einander getrennte Kirchenräume. Während im katholischen Teil noch heute eine Gemeinde ihre Messen feiert, ist in den ehemals protestantischen Teil 2004 die Dresdner Puppentheatersammlung eingezogen. Fast ist man versucht zu sagen, sie habe sich dort eingenistet: Wände und Zwischendecken, enge Stiegen und verwinkelte Treppenhäuser wurden in die Kubatur des Querhauses eingepasst, um Depoträume, Büros und Werkstätten zu schaffen – mit dem Effekt, dass einem beim Rundgang so manches deckennahe Kapitell auf Augenhöhe begegnet.

In der Geschichte der Sammlung – die nach der (weltgrößten) in München die zweitgrößte Deutschlands ist – stellt die Garnisonskirche das jüngste in einer Reihe von räumlichen Provisorien dar. Seit 1952 die „Staatliche Puppenspielsammlung“ aus den Privatsammlungen des Arztes Artur Kollmann (1858-1941) und des Lehrers Otto Link (1888-1959) hervorging, waren die Bestände an vier verschiedenen Orten untergebracht. Der chronische Platzmangel wurde von Station zu Station mitgeschleppt, vor allem fehlte es immer an Ausstellungsflächen, um die Sammlung angemessen der Öffentlichkeit präsentieren zu können. Zur Zeit ist dieses Problem „outgesourct“: Das Museum für Sächsische Volkskunst im Jägerhof – ganz in der Nähe des berühmten „Goldenen Reiters“ – hat eine Etage an die Puppentheatersammlung abgetreten. Auch hier beschleicht den Besucher ein Gefühl von „Einnistung“. An eine Dauerausstellung, die den gigantischen Beständen gerecht wird, ist auf den gerade mal 210 Quadratmetern nicht zu denken. Stattdessen wird einmal im Jahr eine neue Wechselausstellung konzipiert.

 

Die aktuelle „Theater Spielen! Hinterm Vorhang, drunter und drüber“ gibt 10. Mai 2015 einen Überblick über die geläufigsten Figurenarten – Hand-, Tisch-, Stabpuppe und Marionette. Zum Glück haben die AusstellungsmacherInnen der Versuchung widerstanden, möglichst viele von ihren Schätzen zeigen zu wollen. So wurde die knappe Fläche üppig bestückt ohne jedoch vollgestopft zu wirken. Das Ausstellungsdesign kommt verspielt aber nicht kitschig daher und bietet viel Gelegenheit zum Ausprobieren. Das spricht sowohl Erwachsene als auch Kinder an. So hat die kleine Wunderkammer unterm Dach zwar großes Potential für unterhaltsame Familienausflüge, doch kann sie nur eine Ahnung von der Qualität und Vielfalt vermitteln, die zweieinhalb Kilometer Luftlinie entfernt in der Garnisonskirche zu finden sind.

 

Dort bereiten Konservator Lars Rebehn und sein Team gerade die Zukunft vor. Das hat vor allem etwas mit Fotografieren, Beschreiben, Beziffern und Umpacken zu tun: Seit 2008 läuft eine Inventur im Rahmen des großangelegten Provenienzrecherche-, Erfassungs- und Inventarisierungsprojektes der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Zwei bis drei zusätzliche Mitarbeiterinnen wirken in der Puppentheatersammlung an der Erstellung einer Datenbank namens „Daphne“ mit. Sie fotografieren dafür jedes Objekt im hauseigenen Studio und erfassen es mit Angaben zu Aussehen, Material, Maßen, Zustand und Verbindungen zu anderen Objekten. So wurden bisher 40.000 Datensätze generiert – das entspricht einem Viertel der zu erwarteten 60.000 im Objektbereich und 100.000 im Bereich der sogenannten „Flachware“ (dazu zählen unter anderem Plakate, Theaterzettel, Grafiken, Fotos, über 1.000 Typoskripte und etwa 3.000 gebundene Handschriften). Die wichtigsten Informationen aus jedem Datensatz werden außerdem laufend in die "SKD Online Collection"  eingespeist mit dem Ziel, irgendwann die komplette Sammlung im Internet einsehbar zu machen.

 

Schon jetzt hat die Inventur der Sammlung eine enorme Wertsteigerung beschert, denn das Wissen über die eigenen Bestände ist geradezu explodiert. Informationen, die in den 1960er Jahren verloren gingen, als weder eine Strategie noch Mitarbeiter für die professionelle Erschließung vorhanden waren, konnten rekonstruiert werden. Und gar nicht so selten finden die Projektmitarbeiterinnen Dinge, von denen man gar nicht dachte, dass sie vorhanden wären. Dann müssen manchmal aufgrund der neuen Erkenntnisse alte Gewissheiten über Bord geworfen werden, so zum Beispiel die Zuschreibung einiger Theatrum-Mundi-Bestände zu bestimmten Schaustellerfamilien – ein Puzzlespiel, das geradezu detektivischen Spürsinn erforderte.

 

Im Verlauf der Inventur müssen alle Teile der Sammlung einmal bewegt werden. Das gibt Anlass, ihre Lagerungsbedingungen zu überdenken und, wenn nötig, zu verändern. Natürlich gilt: je weniger gequetscht und gestapelt, desto besser. Ein Luxus ist es geradezu, dass nun tausende von Kostümteilen nach der Katalogisierung in extra angefertigte, flache und chemisch neutrale (ergo Stoffschonende) Pappkartons umgepackt werden können. Aber, ach, das leidige Platzproblem lässt insgesamt wenig Spiel- bzw. Stauraum! Da ist es dann einfach nicht vermeidbar, dass die Flachfiguren aus den 1860er bis 1920er Jahren dichtgedrängt auf einem selbstgezimmerten Röhrengestell in der Restaurationsabteilung aufbewahrt werden. Auch dass die über 200 Bühnenprospekte nicht gehängt werden können und stattdessen gerollt  im Regal liegen müssen, ist alles andere als optimal. Diese Situation wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen, denn die Sammlung ist höchst lebendig, das heißt: Sie wächst. Wo sich früher einmal bis zu 2.500 Gläubige zum Gottesdienst einfanden, lagern heute schon schätzungsweise 12.000 Puppen. Jedes Jahr kommen kistenweise neue hinzu, Einzelstücke, komplette „Familien“ einer Inszenierung und mitunter sogar die dazugehörigen Bühnenbilder. Zwar verfügt die Sammlung nur über geringe Ankaufmittel, doch erhält sie viele Schenkungen von Puppentheatern, die selbst um jeden Quadratzentimeter Lagerfläche ringen. Auch kann immer mal ein Dachbodenfund gerettet werden, wie das Heimtheater mit elektrischer Miniatur-Beleuchtungsanlage aus den 1940er Jahren – der Erbauer war ein puppentheaterbegeisterter Ingenieur.

 

Die Sammlungsschwerpunkte konnten somit immer weiter ausgebaut werden. Sie liegen einerseits im traditionellen Marionettentheater Sachsens, andererseits im Puppentheater der DDR. Doch auch nach der Wende wurde im Mitteldeutschland konsequent weiter gesammelt. Die Szene ist schließlich eine der lebendigsten, die es gibt, und die Sammlung hat nach wie vor den Anspruch, möglichst viele verschiedene wichtige KünstlerInnen der Region abzudecken – gerne auch mit mehreren Arbeiten, so dass sich Entwicklungen nachvollziehen lassen. Generell gilt, dass eine bedeutende Inszenierung auch dann aufgenommen werden kann, wenn sie wenig musealen Schauwert hat. Und dass umgekehrt auch die Ausstattung einer mäßigen Inszenierung „sammlungswürdig“ sein kann, falls sie von hoher ästhetischer Qualität ist.

 

Indessen hat Konservator Lars Rebehn einen Traum: Sammlung und Ausstellung vereint auf 1.000 Quadratmetern im „Kraftwerk Mitte“. Auf dem Gelände im Stadtzentrum entsteht gerade ein neues Kulturquartier. Die Sammlung wäre dort in unmittelbarer Nähe zum Dresdner Puppentheater untergebracht, das seit 1997 als Sparte zum tjg. theater junge generation gehört. Im neuen Gebäude wäre endlich genug Platz, um das Theatrum Mundi zu präsentieren. Oder um anhand von Packwagen und Prinzipalsfrack über das Leben der historischen PuppenspielerInnen zu informieren. Ein Theaterlaboratorium würde zum Selberspielen einladen und die Kreativität der BesucherInnen fördern. Für solch einen Neuanfang werden durch die Inventarisierung gerade die besten Voraussetzungen geschaffen. Nun ist es eine Frage von politischem Willen und finanziellen Ressourcen, wann die Zukunft der Dresdner Puppentheatersammlung beginnen kann.

 

Öffnungszeiten der Ausstellung im Jägerhof: 10 bis 18 Uhr, montags geschlossen

Die Sammlung in der Garnisonskirche ist für Fachpublikum nach Voranmeldung zugänglich.