Die aktuelle Kritik

Kompanie liason à faire: “crack”

von Meike Hinnenberg

Bewegungskünstlerin Lena Tempich lässt den Stoff, aus dem Theater ist, erfahrbar werden.

 

In die Welt verstrickt

"Crack", die neue Arbeit der Bochumer Kompanie liason à faire, beginnt eine Stunde bevor die Performer die Bühne betreten als frei begehbare Raum- und Soundinstallation. Zu sehen ist nicht viel. Die Einrichtung der kargen, beinah nackt wirkenden Rottstr5-Kunsthallen in Bochum zitiert die klassische Theatersituation: Stuhlreihen im hinteren Teil des Raumes und ihnen gegenüber eine Bühne, auf der sich ein Pult mit Technik und Instrumenten, ein großer rechteckiger Kasten mit einem Vorhang, ein Notenständer und ein Mikrofon befinden. Diese klassische Anordnung verweist die Hereinkommenden beinah zwanghaft auf die Stuhlreihen, den Platz der Zuschauer; die Schwelle zur Bühne zu übertreten, die Installation tatsächlich zu erkunden, wirkt wie eine Grenzüberschreitung, wie das Betreten eines Ortes, zu dem man eigentlich keinen Zutritt hat.

Auch zu hören ist nicht viel: Jenseits des Straßenlärms, der dumpf von außen hereindringt, und dem gelegentlichen Dröhnen der Züge, die ab und zu über die Rottstraße hinwegdonnern, ist nur ein monotones Tropfen aus den Lautsprechern zu vernehmen, das die Zeit fühlbar werden lässt, ihr Vergehen in beinah unerträglicher Weise zerdehnt.

Dann – endlich – betreten der Musiker Ralf Tibor Stemmer und Lena Tempich, Gründerin der Kompanie, ausgebildete Figurenspielerin, (Sand)Bildhauerin und somatische Bewegungskünstlerin, die Bühne. Tempich, in schlichtes Schwarz gekleidet, eröffnet die Performance: „I am a storyteller / I am listening.“ Tatsächlich scheint die Erzählung dieses Abends nicht die eines mit sich selbst identischen Subjekts zu sein, das der Welt (s)einen Sinn verleiht. Viel eher ließe sich die Arbeit der Kompanie als Versuch einer kreativen und vieldimensionalen Antwort auf die Welt beschreiben, die uns anspricht, in die wir verstrickt sind, die wir in unseren Antworten aber weder einholen noch endgültig bestimmen können. Und so entfaltet sich die Erzählung als Textur, als vielschichtiges Gewebe, in dem sich Musik, Sprache, Klang, Bewegung, Raum und Körper ineinander verwickeln.

Diese textile Dimension des Theaters reflektiert die Performance auf vielfältige Weise: Einerseits werden Stoffe zu Elementen und Trägern erzählter Geschichten. Andererseits fungieren Textilien immer wieder als Material der Aufführung, mit dem Tempich spielt, das in der Lage ist zu verhüllen und zu enthüllen, das immer wieder neue Schichten preisgibt, ohne allerdings jemals zu einem Kern oder einem Ursprung vorzudringen.

Insbesondere der vermeintliche Guckkasten, der wie eine Bühne auf der Bühne wirkt und dessen Vorhang etwas preiszugeben verspricht, eröffnet gerade kein Bürgerliches Trauerspiel. Hinter einer Lage Textil, die entfernt wird, liegt nur die nächste; und jede Lage, jedes Stück Stoff ruft neue Assoziationen hervor: Stoffe, die wärmend und schützend scheinen, die zum Verstecken einladen; Stoffe, die an Kleidung oder Fahnen erinnern, die zum Symbol kultureller oder nationaler Identität werden können; Stoffe als Träger von Farben und Formen, die bereits erzählte Geschichten ins Gedächtnis oder Empfindungen wachrufen; Stoffe, die eine eigene haptische Qualität haben; Stoffe, die im Rahmen kapitalistischer Produktionsweisen instrumentalisiert und zum Zeichen von Ausbeutung werden können; Stoffe, die immer neue Möglichkeiten der (Ent-)Faltung und Bewegung versprechen.

Auch wenn die Performance an manchen Stellen noch kleinere dramaturgische Schwächen aufweist, scheint gerade dieses Versprechen einer ursprunglosen, nicht endenden Entfaltung eine der großen Stärken der Arbeit zu sein. Immer wieder entstehen neue Bilder und immer wieder erspielt sich Tempich neue Bezüge zwischen verschiedenen Elementen. „She was living with her finger in a house, she was living with her belly in a country, she was living with her hair in a universe…", erzählt die Performerin. "A bird in the shape of a land, a land in the shape of a house, a house in the shape of an angel, an angel in the shape of a shadow puppet …”

Obwohl diese Performance auf den ersten Blick ganz und gar nicht politisch anmutet, scheint in dieser permanenten spielerischen Auf- und Einfaltung, in dieser Arbeit, die Bewegung selbst als Aufenthalt denkt, eine politische Dimension auf: „Diversity", sagt Lena Tempichs Bühnenfigur, "there is a crack in everything. There is movement in everything. Migration is movement. Migrating somewhere… Move, move, move.”


Premiere: 5. November 2015 in den Rottstr5-Kunsthallen Bochum

Konzept und Performance: Lena Tempich

Musiker: Ralf Tibor Stemmer

Artistic Coach: Tim Jones

Foto: Thorsten Schnorrbusch

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