Die aktuelle Kritik

Das weite Theater: "Der weiße Hammer"

von Max Florian Kühlem

 

Die surreale Satire auf Film-Noir-Klassiker ist seit 20 Jahren ein Dauerbrenner.

 

Das weite Theater

 

 

Krimi-Satire nach 20 Jahren immer noch ein Dauerbrenner

 

"Rämm mämm mämm mämm". Eine menschliche Stimme äfft einen aufheulenden Automotor nach. Ein schwarzer amerikanischer Schlitten in Spielzeug-Größe fährt am Rand der Puppenbühne auf und ab. Es ist klar, was hier gemeint ist: zahllosen Szenen aus Film-Noir-Klassikern, die den Beginn von finsteren Machenschaften markieren. In der Berliner Puppenbühne "Das Weite Theater" markiert die Szene den Beginn eines Dauerbrenners: 2015 feiert die Inszenierung "Der weiße Hammer" ihren 20. (!) Geburtstag.

 

Das Theater im Stadtteil Lichtenberg spielt hauptsächlich Figurentheater für Kinder. Wenn "Der weiße Hammer" gezeigt wird, ist es allerdings Abend und man hat Erwachsene im Blick. Auch die wollen im Theater mal Spaß haben, nicht ständig über den Sinn nachdenken. Vielleicht hält sich das Stück genau deshalb so lange: weil es ein anarchischer Spaß ist, ein verrücktes Spiel mit Krimi-Klischees, die komplette Auflösung des Plots in einen surrealen (Alb-)Traum inklusive.

 

Ein weißer Hase zieht den Zuschauer in das Spiel von Hans-Jochen Menzel und seinen Komplizen Irene Winter und Torsten Gesser. Alle "Alice im Wunderland"-Erfahrenen wissen: jetzt dürfen, nein, jetzt müssen sie ihren Verstand zurücklassen. Es dauert zwar nicht lange bis Hasi nicht mehr "boing, boing, boing" über die Bühne hüpft. Er wird brutal ermordet und hängt mit frei liegendem Genick über den Rand der Puppenbühne. Die Logik kommt trotzdem nicht zurück.

 

Der Mord geschieht mehr zufällig, weil eine mittelschwer debile Gemäldediebin (auf der Suche nach Dürers Hasen – wonach sonst?) ihrer Neigung zur Hasen-Auslöschung nicht widerstehen kann. Dass er nicht ungesühnt bleibt, liegt an seinem Besitzer: Polizeipräsident Hagen scharrt sofort eine skurrile Truppe aus der zupackenden Pathologin Alice, Schürzenjäger Rudolf und dessen Therapeutin Dolores um sich. Unter dem Namen "Der weiße Hammer" will man das organisierte Verbrechen ausmerzen – so wie es vorher Hasi ausgemerzt hat.

 

Die Puppenspieler streifen in bewährter Fernsehtatortlänge von 90 Minuten beliebte Genres und nehmen sie aufs Korn: Krimi, (Psycho-)Thriller, Verwirrspiel... hauptsächlich wirkt das Stück jedoch wie eine Satire auf eine Boulevardkomödie. Genau wie in einer solchen fragt sich der Zuschauer, mit was für einer Art Raum er es im Bühnenbild zu tun hat: Warum hat er so viele Türen, die überraschend aufspringen und mit einem Rums zuschlagen können? Ist es ein Flur?

 

Neben dem Hasen, der eine klassische Handpuppe, ein einfaches Plüsch-Spielzeug ist, führen die Puppenspieler hier fast lebensgroße, ausdrucksstarke Holzpuppen von "Menschenfälscher" Thomas Klemm. Ihre Bewegungen wirken eher ungelenk als geschmeidig, aber das passt so gut zum Stück wie die Patina, die es über die Jahre unweigerlich angesetzt hat – wie ein schwarz-weißer Kultfilm, zu dem man immer wieder gern zurückkehrt.

 

 

Seit einigen Jahren läuft am weiten Theater auch die offenbar nicht minder absurd-komische Fortsetzung "Heiße Wammer – Ein eiskalter zweiter Teil".

 

 

Hauptschuldiger: Hans-Jochen Menzel
Mitwürgende: Irene Winter, Torsten Gesser
Schicksalsmelodie: Antje Jeckstädt
Menschenfälscher: Thomas Klemm
Tatortherstellung: Rolf Herold, Frank Bannert
Licht ins Dunkle: Oliver Nehring

 

Premiere: 1995

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