Die aktuelle Kritik

Mensch, Puppe! Bremen: "Die Physiker"

von Uwe Dammann

Ein Klassiker des deutschen Sprechtheaters interpretiert mit Kaukautsky-Puppen.

 

Grotesk, klug und ein bisschen abgedreht

Ganze Schülergenerationen haben sich mehr oder minder damit gequält: „Die Physiker“ von Friedrich Dürrenmatt gehört seit den 1960er-Jahren zur Pflichtlektüre im Deutschunterricht. Nun gibt es eine Möglichkeit, sich mit diesem  Theater-Klassiker in einer ganz anderen, extrem unterhaltsamen Form  auseinandersetzen: Mit einem Puppenspiel unterstreicht das Bremer Figurentheater „Mensch, Puppe!“ die groteske und theatralische Form in ganz besonderer Weise. Am Wochenende hatte das Stück vor ausverkauftem Haus in der Schildstraße im Bremer Viertel die begeistert aufgenommene Premiere.

Mit kleinen Handpuppen, wie man sie aus dem Kasperle-Theater kennt, aber auch – und das noch eindrucksvoller – mit sogenannten Kaukautsky-Puppen haben sich die Spieler diesem Klassiker der deutschsprachigen Theaterliteratur genähert. Das sind Spielfiguren ohne Kopf, die über echte Schauspieler zum Leben erweckt werden. Die Schauspieler, das sind in diesem Fall Leo Mosler und Jeanette Luft aus dem Ensemble von „Mensch, Puppe!“, verstehen  es meisterhaft und äußerst professionell über Mimik, Gestik und Sprache das Geschehen in dem kleinen Theatersaal auf die Bühne zu bringen.

Ganz in schwarz gekleidet, um den eigenen Körper verschwinden zu lassen, hängen sich die Schauspieler die Figuren um den Hals, mimen fast ausschließlich mit ihrem Gesicht die Rolle und bewegen dazu die Hände der Puppe. Das ist nicht nur skurril anzuschauen, sondern in diesem Fall auch dienlich, um das Drama aus den unterschiedlichsten Perspektiven zu entwickeln und das Groteske der Handlung zu inszenieren. Schon bald fragt man sich, wer ist denn hier eigentlich verrückt? Der ermittelnde Kommissar Inspektor Voss, die Chefärztin oder die Physiker? Der Physiker Newton gibt beispielsweise  den Hinweis darauf, dass man zwar einen kleinen Mörder verurteile, den Erfinder der Atombombe jedoch nicht und unterstreicht diese widersprüchliche Moral als Kennzeichen einer bürgerlich grotesken Weltordnung.

Konkret – der ein oder andere wird sich noch aus dem Unterricht erinnern – geht es in dem Stück von Friedrich Dürrenmatt um drei Physiker, die sich als Geisteskranke ausgeben. Der erste von ihnen behauptet, Albert Einstein zu sein, der zweite hält sich angeblich für Isaac Newton. Der dritte, Johann Wilhelm Möbius, hat die so genannte Weltformel entdeckt, die in den falschen Händen zur Vernichtung der gesamten Menschheit führen könnte. Mit seiner Behauptung, ihm erscheine König Salomo, der sprichwörtlich für altorientalische  Weisheit und Klugheit steht, will er sich selbst unglaubwürdig machen und so dem Missbrauch seiner revolutionären Entdeckung vorbeugen. Newton und Einstein hingegen sind in Wahrheit Agenten  rivalisierender Geheimdienste haben sich nur ins Irrenhaus einweisen lassen, um an Möbius’ Erkenntnisse zu gelangen und diese für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.

Die drei Physiker ermorden ihre Krankenschwestern, weil sie um ihre Geheimnisse fürchten. Als Inspektor Voss mit seinen Ermittlungen der Todesfälle beginnt (herrlich in Mimik und Gestik Leo Mosler), vernichtet Möbius seine Formel. Es gelingt ihm, auch seine beiden Kollegen davon zu überzeugen, ihr gefährliches Wissen zu verschweigen, damit die Welt vor dem Untergang bewahrt werde. Doch der Pakt der Physiker kommt zu spät. Mathilde von Zahnd, die missgestaltete Besitzerin und Chefärztin des Irrenhauses, hat bereits Möbius’ sämtliche Aufzeichnungen kopiert. Als die einzig wirklich Verrückte – Jeannette Luft unterstreicht das hervorragend - glaubt sie tatsächlich, im Auftrag König Salomos zu handeln, und will mit der Formel die Weltherrschaft erringen. Die Physiker aber, durch die von ihr eingefädelten Morde öffentlich als Verrückte gebrandmarkt, bleiben im Irrenhaus eingesperrt und haben keine Möglichkeit mehr, Zahnds Pläne zu verhindern.

Das Ensemble von „Mensch, Puppe!“ hat sich in ihrer Adaption des Stückes in der Regie von Rainer Schicktanz und in der Dramaturgie von Philipp Stemann an den Handlungsstrang des Originals gehalten. Die Musik, die viele Szenen eindrucksvoll verdichtet und unterstreicht, stammt von Annegret Enderle.

Inhaltliche Abweichungen zur Vorlage gab es so gut wie keine, aber die  Inszenierung beeindruckt durch den Einsatz der verschiedenen Puppen, Licht- und Toneffekten und der ständigen Verwandlung der Darsteller. Leo Mosler und Jeannette Luft spielen rund ein Dutzend Rollen. Mal lediglich als Sprecher der Handpuppen, dann wieder als „reale“ Figur mit der Kaukatsky-Puppe. Das ist  manchmal ziemlich schräg, lustig, aber vor allem grotesk und passt damit hervorragend zur Kulisse des Irrenhauses, in dem die Handlung spielt.

Im vorigen Jahr bekam „Mensch, Puppe!“ mit ihrem Stück „Anton Tschechow. Ein Einakter“ bei den Hamburger Privattheatertagen den Publikumspreis zu erkannt. Gut möglich, dass das Ensemble in diesem Jahr mit „Die Physiker“ wieder Chancen auf eine ähnliche Auszeichnung hat. Das Publikum der Premiere jedenfalls war begeistert und klatschte lang anhaltenden Beifall.

 

Premiere: 8. April 2016

Foto: Claudia Grabowksi

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