Die aktuelle Kritik

Theater der Jungen Welt Leipzig: „Rinnzekete"

von Tobias Prüwer

Ohne Worte: Materialtheater-Metamorphose fischt in der Ursuppe des Dada

 

Wellpappenwelten

Ist es ein Vogel? Hm. Ist es ein Fisch? Vielleicht. Was ist es dann? Fümms! Fümms? Fümms. Vor hundert Jahren verlas Hugo Ball in Zürich sein „Dada-Manifest“: „Ich will meinen eigenen Unfug, und Vokale und Konsonanten dazu, die ihm entsprechen. Wenn eine Schwingung sieben Ellen lang ist, will ich fueglich Worte dazu, die sieben Ellen lang sind. ... Ich lasse die Laute ganz einfach fallen. Worte tauchen auf, Schultern von Worten; Beine, Arme, Haende von Worten. Ay, oi, u.“ Pünktlich zum Geburtstag des Dadaismus schenkt das Theater der Jungen Welt seinem Publikum besondere Geburtstagsworte, die zugleich eine luftig-leichte Einführung in den blanken Unsinn sind.

„Fümms bö wö tää zää Uu, / pögiff, / kwii Ee. / Oooooooooooooooooooooooo.“ – „Rinnzekete“ heißt die Stückbearbeitung, die Kurt Schwitters lautpoetische „Sonate in Urlauten“ zur Bühnengestalt verhilft. Die kommt maßgeblich als Objekttheater daher, das nicht von Pappe ist. Na ja, in Wahrheit doch. Die Bühne (Carsten Schmidt) wirkt in Form und Farbigkeit leicht vom Bauhaus inspiriert. Durch einen gummiartigen Lammellenvorhang in Gelb-Orange zwängen sich die zwei Spieler (Elisabeth Braune & Benjamin Vinnen) und landen auf einem schiefen Trapez in Türkis. Erste Silben fallen, Lautmalereien lallen. Sie richten eine kinderhohe (große Gruppe!) Wellpappenrolle auf und bearbeiten diese hernach. Ausgerollt wird sie zur vertikalen Spielfläche. Flugs schnitzt der Cutter ein Wurm-Etwas hinaus und schon schiebt sich die mobile Serpentine ins Leben, kriecht die Wand rauf. Zwei Drähte mit Krokodilsklemmen reichen, um aus totem Material ein animiertes Objekt zu machen.

Dabei erweist sich die Wellpappe als erstaunlich vielseitig. Man kann sie grob punzieren, also Muster durch Schuhsolen und Handabdrücke einprägen. Oben eingefranst und ins Halbrund gebogen wird ein Stück Pappe zum Baum mit Geäst, der einen Vogel anlockt. Der besteht aus nichts weiter als einem geschwungenen Dreieck, das in der Mitte an einem Stab steckt, der wild die Schwingen auf- und niederfahren lässt.

Kunstfertigkeit beweisen die Spieler auch, wenn sie eine Ratte geben: Eine auf den Händen sitzende Zuckertüte mit Löchern dient als Schnauzenandeutung, die Finger graben sich in die aufgespannte Pappwand und zerfasern sie. Den wunderbarsten Effekt zollt ein Stück Schattentheater. Von hinten wird die Pappfläche angestrahlt, man befindet sich am Meeresgrund. Plötzlich erscheint in Weiß eine Wasserpflanze. Wie ist das gemacht? Erst nach Sekunden fällt der Groschen: Die feinen floralen Linien wurden mit einer Wassersprühpistole gezeichnet – das weicht die Pappe an der Stelle ein, macht sie lichtdurchlässiger. Fantastisch.

Diese schulstundenkurze Dada-Einführung ist von so fantastischer Einfachheit, dass das junge Publikum, wild durcheinander quasselnd, einen Assoziationspurzelbaum nach dem anderen schlägt. Das ergänzt sich hübsch mit den rhythmischen Tonfolgen, deren Inhalt man ohnehin selbst füllen muss. Regisseurin Ines Müller-Braunschweig kennt ihre Wellpappenheimer und hat sich durchs Verkneten des Unkonventionen längst auch in Leipzig ihr Publikum erspielt. Mit dieser Inszenierung setzt sie einen drauf.

Walle! Welle!: Einen Trommelbaum später wogt die Wellpappe als Meer daher, kreist ein Seevogel – Gut gebrüllt, Möwe! – anmutig über den Zuschauerköpfen der ersten Reihe, beobachtet ein Duell im Schatten(-spiel): Fisch, du hast den Wurm gestohlen, gib ihn wieder her. Der taucht wieder auf, springt durch die Pappe ans andere Ende des Nass. Dann schraubt sich Fümms in noch drei Metamorphosen mehr, geht schließlich die Sonne über der dadamanifestierten Wellpappenwelt unter. „Oooooooooooooooooooooooo.“

 

Premiere: 27. Mai 2016

Foto: Tom Schulze

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