Die aktuelle Kritik

Schaubude Berlin: "Working Society"

von Tom Mustroph

Menzel und Sowa spielen mit alten Puppen und neuen Avataren Industrie 4.0 durch.

 

Rentenszenario für Puppen

Puppen sind auch nur Arbeitskräfte. Das dachten sich jedenfalls Puppenspielerlegende Hans-Jochen Menzel und seine Kollegin und Ex-Schülerin Melanie Sowa. Unter dem Label United Puppets (Regie: Mario Hohmann) ließen sie in "Working Society" ihre eigenen Puppen vergangener Produktionen in einer Art Assessment Center noch einmal vor sich tanzen und sortierten sie nach einem kurzen Digitalisierungsprozess einfach aus. Sie nutzten den Vorgang natürlich auch, um über alte und neue Arbeitswelten zu philosophieren.

Ihr Spiel hatte erfreulich viele Ebenen. Zum einen lieferten sich Sowa und Menzel den erfrischenden Dialog eines Paares, das endlich mal ausmisten und Platz schaffen will. Das heißt, ausmisten will eigentlich nur Sowa, während Menzel liebevoll Puppe für Puppe betrachtet und überlegt, was diese noch alles könnte. Für erfahrene Puppentheatergänger bedeutet der Prozess eine Wiederbegegnung mit zahlreichen alten Bekannten. Mit dem Wissenschaftler Sörgel aus Sowas "Atlantropa"-Projekt etwa, der in den 1920er Jahren das Mittelmeer trocken legen und so Arbeit und Wohlstand für Europa und Afrika bringen wollte. Oder dem Parteisekretär aus "Katzgraben", einer Gemeinschaftsproduktion von Menzel & Sowa, die sich vor mehr als zehn Jahren am Berliner Gorki Theater auf der Vorlage der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft mit der postsozialistischen Umschulung im vereinigten Deutschland auseinander setzte. Oder auch einer massiven, skelett-artigen Puppe aus Menzels "Edda"-Projekt aus dem Jahre 2000.

Diese Puppen werden nun neu aufgeladen. Gut, Sörgel bleibt Sörgel und entwirft weiter geopolitische Großphantasien. Der Ex-Parteisekretär bleibt sich in seinem Wandelwesen treu und performt den flexiblen Menschen. Die "Edda"-Puppe hingegen, nur Wirbelglieder, Kopf und Knochen für die Gliedmaßen, wird im neuen Kontext die Arbeit selbst. Der Mensch ohne Fleisch, reduziert auf den härtesten Kern, auf das, was nach der Verwesung noch übrig bleibt - das ist die Arbeit. Keine schlechte Wahl.

Diese Puppe speit Sätze von Karl Marx aus, über die Ausbeutung durch Arbeit, die Entfremdung durch Arbeit. Der Marx-Text ist an dieser Stelle ein Erlösungstext. Denn zuvor durchschritten Menzel und Sowa mit ihren Puppen das Szenario der Industrie 4.0, das also der Roboter, die den Menschen als Arbeiter ersetzen und, so lauten aktuelle Hochrechnungen, etwa die Hälfte der Menschheit in Zukunft arbeitslos machen werden.

Die Digitalisierung und Robotisierung erzählen Puppets United mit einem Trick: Die analogen Puppen werden digitalisiert. Klick klack, Bilder von vorn, von links und rechts sowie von hinten - und fertig ist die Vorlage für den 3D-Scan. Mit Hilfe des Programms "Crazy Talk" werden die digitalisierten Puppen schließlich zum Sprechen gebracht.

Das Spiel verlagert sich von der Bühne zur Projektionsleinwand. Ein schöner Effekt. Zugleich aber der Beleg, dass simpel digitalisiertes Puppentheater an Reiz verliert und zum Animationsfilm sprechender Köpfe wird. Nur Kopf und Text, keine Effekte, keine Bewegung, so konkret wie banal.

Zum Glück spielen Menzel & Sowa auf der Bühne weiter; Menzel nun in ein goldenen Phantasiekostüm gekleidet und als expressionistischer Dichter Paul Scheerbart vom Perpetuum mobile phantasierend. Die Vorstellung von der ewig laufenden Maschine darf man als Kommentar zu den Glücksversprechen der neuen automatischen Arbeitswelten deuten. Auch dort soll ja alles reibungslos funktionieren, ganz ohne Ermüdung, so gut wie ohne Verschleiß. United Puppets entgehen mit dieser schrägen metaphorischen Kommentarebene der Gefahr, sich im Gewirr der Thesen um Arbeits- und Nichtarbeitswelten zu verfangen.

Zugleich glückt ihnen das Kunststück, die Digitalisierung des Puppentheaters zu betreiben - in Ansätzen zumindest - und diesen Innovationsgang im selben Augenblick ironisch zu brechen. Auch ganz pragmatische Momente weist dieser Abend auf. Sowa stellt "Isadora" vor, ihr Steuerungsprogramm für Licht, Ton und Video. Das schafft perspektivisch gleich ein paar Mitarbeiter ab, Effizienz - und deren Kehrseite - ganz alltagspraktisch. Die Verknüpfung des Großthemas zukünftige Arbeitsgesellschaft mit den ureigenen Arbeitsbedingungen im Puppenspiel gelingt prächtig. Nur eines hätte man sich beim An- und Abspielen der ca. 30 Puppen noch gewünscht: Mehr virtuoses Spiel mit den Puppen selbst. Und das nicht nur als warnend erhobenen Zeigefinger dafür, was bei der Digitalisierung des Spiels alles an Substanz verloren gehen könnte, sondern einfach als künstlerisch geformten Ausdruck der Freude am Spiel selbst.

Nachzutragen ist noch, dass Regisseur Mario Hohmann ursprünglich die ostdeutschen Puppentheater nach bereits abgespielten Puppen angefragt hatte. Die wollten sie aber noch nicht hergeben für einen letzten Tanz auf der Bühne. Das kann man als institutionelle Trägheit deuten, aber auch als Verweigerung gegenüber effizienter Ausnutzung.

 

Premiere: 9. Dezember 2016

Produzent: United Puppets
Gefördert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds Berlin
Regie: Mario Hohmann
Spiel: Hans-Jochen Menzel, Melanie Sowa
Dramaturgie: Anja Quickert
Szenografie: Puppenbau Berlin
Foto: Mario Hohmann

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