Die aktuelle Kritik

Lindenfels Westflügel Leipzig: "Rabe - Chronik eines Halunken"

von Franziska Reif

Die wortkarge Inszenierung spielt mit den düsteren Elementen der Rabengestalt.

 

Schwarze Flamingos

Der Rabe ist in vielen Mythologien weltweit kein unbeschriebenes Blatt. Das mag damit zusammenhängen, dass er für einen Vogel ein ungewöhnliches Verhalten an den Tag legt: Er ist nicht bunt gefiedert, und er singt auch nicht schön, sondern krächzt nur so vor sich hin. Dafür ist er ein schlaues Kerlchen und steht entsprechend für Weisheit, gibt Wandersleuten Tipps oder bringt Mörder vor Gericht. Neben dieses Bild vom hilfsbereiten, klugen Gesellen gesellt sich das vom Unglücksraben, der in erhängten Verbrechern herumpickt. Noch so ein Unglücksvogel, der nicht singen kann, ist die Elster, deren Erscheinen schon mal schlimme Dinge ankündigt. Was genau zu erwarten ist, weiß ein englischer Schlafreim: „One for a sorrow, two for a joy … ten for a bird you must not miss“ bildet die unheimliche Klammer des Stücks. Keinesfalls geheuer ist es, dass Zauberer sich in Raben verwandeln können, ein Motiv, das in Sachsen in der sorbischen Krabat-Sage wiederkehrt. Krabat stand schon auf der Bühne im Leipziger Westflügel, nun ist es der Rabe – der Untertitel gibt den Hinweis, dass dieser ein Halunke ist.

Der Halunke scheint Äpfel zu mögen, jedenfalls fehlen die nicht beim Nestbau durch Pauline Drünert und Etta Streicher, der vor allem darin besteht, dass die beiden Spielerinnen von Crabs & Creatures (Berlin) mühselig knorrige Äste über die Bühne schieben. Stefan Weihrauch steht derweil an den Saiten. Die hat er zwischen ebenfalls knorrige Äste gespannt und entlockt ihnen die verschiedensten Töne, die vom knisterndem Kratzgeräusch über Orkangeheul bis zur sanften Gitarre reichen, dazwischen tauchen auch Xylophonklänge und Percussion auf.

Der Rabe steht einbeinig in seinem neuen Heim, er ist – und das ist nur eine der Erkenntnisse des Abends – der Flamingo unter den Schwarzfedern. Als Rabe lässt sich auch vortrefflich mit schwarzem Zylinder Mafioso spielen und sich hinter aufgespannten schwarzen Schirmen verstecken. In dieser Deckung gelingen Übergriffe auf das Publikum, werden Mützen und Telefone geklaut. Schließlich stecken Raben gerne zusammen und flattern gemeinsam herum – so wie die kleinen schwarzen Schirmchen, die von der Decke fallen wie Marionetten, im Schwarm auf und nieder fliegen, vor und zurück, sich gegenseitig piesacken und miteinander Fangen spielen.

Neben den Schirmen bilden Drünert und Streicher selbst Rabenkörper, und sie lassen aus Skelettteilen Körper entstehen. Ein Schnabel mit Augen verfügt alsbald über ein Bein und ein paar Rippen. Der Schirm bleibt unerlässlicher Begleiter, auch dann, wenn der Schwarzvogel eigentlich noch mit roter Samttasche und Akkordeon ausgestattet ist und über eine seltsame Apparatur Figuren von der Welt fallen lässt. Unter einem weiten Reifrock schaut eine knorrige Rabenzehe hervor, das schwarze Kleid wird weiß und singt von der wie ein Kahn dahingleitenden Seele und dem Entschwinden der Zeit. Janne Weirup und Jonas Klinkenberg (Tentakelkultur) haben mit „Rabe“ ihr konzise-verspieltes Regiedebüt gegeben, das ganz in der Tradition des Hauses steht: so gut wie keine Sprache, eine Dramaturgie entlang des Materials und eine tonale Begleitung, die sich stark am Symbolgehalt der Bilder orientiert. So arbeitet diese Inszenierung vor allem mit der düster-morbiden Seite des Galgenvogels, die sich an so mancher Stelle in Humor auflöst und damit einen durchaus bunten Reigen unterschiedlicher Bilder und Assoziationen ergibt. Die Schlussszene endet dagegen mit einem lauten Knall.

 

Premiere: 12. Januar 2017

Eine Produktion von Crabs & Creatures (Berlin) und Tentakelkultur (Leipzig) in Koproduktion mit dem Westflügel Leipzig
Regie: Jonas Klinkenberg, Janne Weirup
Spiel & Ausstattung: Pauline Drünert, Etta Streicher
Live-Musik: Stefan Weihrauch
Foto: Thilo Neubacher

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