Die aktuelle Kritik

Lehmann und Wenzel: „Zaches“

von Franziska Reif

Die Figurentheatergruppe bringt ihren „Zaches“ mit Üppigkeit und Witz auf die Bühne.

 

Zinnoberrotes Märchen

Mutter Liese hat die süßesten Zwiebeln und steigt somit zur Lieferantin des Fürstenhofs auf. Bis dahin war sie noch damit beschäftigt, über ihr Schicksal zu lamentieren, das ihr erst den Wechselbalg Zaches geschenkt und dann nicht mal ermöglicht hat, aus diesem Kapital zu schlagen. Der hat sich als Kind noch über ihre Klagen amüsiert: Klein und enorm rothaarig umtanzt er sie seitlich und von oben, bis dank Feenzauber der Pfarrer von diesem plötzlich hübschen Spross ganz hingerissen ist, der Liese Geld gibt und Zaches mitnimmt.

Dieses wilde Herumgetanze geschieht bei der Premiere von Lehmann und Wenzel im Leipziger Lindenfels Westflügel am und um den samtenen roten, Üppigkeit verheißenden Vorhang in Stil und Größe des Kasperletheaters, der für manche heitere Einlage gebraucht wird. Ein lustiges Vieh flitzt oberhalb entlang und speichelt ihn voll, ein überdimensionierter Hirschkäfer krabbelt daran rum. Er wackelt und zappelt, so etwa in der Reitszene, an deren Ende Wenzel hinter dem Vorhang auftaucht, sich noch eine Weile das Knie hält und schmerzverzerrt zur Gitarre greift, schließlich davonhumpelt. Irgendwann ist das Tuch abgerissen und somit taucht später ein kleiner, nicht weniger leuchtend roter Handvorhang auf – schließlich muss der Zeremonienmeister weiterhin ansagen können, welches Kapitel nun folgt und was der Zuschauer dabei zu sehen bekommt. Auch diese Figur sorgt für Erheiterung: Ganz in weiß ist dieser Herr mit tiefblauen Augen ausgestattet und so hergestellt, dass eine Hand immer zum Deklamieren bereit ist.

Die belustigende Üppigkeit der Ausstattung in der Inszenierung von E. T. A. Hoffmanns „Klein Zaches“, die die Figurentheatertruppe schlicht „Zaches“ nennt, spielt mit Farben, Licht und Musik. Schwarz und rot sind die Sitzreihen der Zuschauer eingekleidet. Buxbäumchen auf der Bühne formen eine Allee, die Herrschaftlichkeit andeutet und gegen Ende in kleinbürgerlicher Manier illuminiert wird. Die Musik kommt vom mit Perlenschnüren dekorierten Technikturm links und von der Gitarre rechts des zentralen Vorhangs, ein Zusammenspiel aus Gesang und vielerlei Instrumenten formt schon früh einen wabernden Geräuschteppich, über den geradezu klobige Wesen mit grünen Flügeln tanzen. Ihren Mangel an Grazie und Anmut gleichen Lehmann und Wenzel aus.

Überhaupt ist das so eine Sache mit der Macht und ihren Zeichen zu Zeiten des Absolutismus. Klägliche Fanfarenstöße künden von Wichtigkeit, Perücken sitzen schief, die angemessene Steifheit der Bewegungen verlangt gänzlich unergonomische Verrenkungen, während Absatzschuhe gehobene Stellung betonen. Als Klein Zaches nicht mehr klein ist und längst Zinnober heißt, wird ihm der Orden vom grüngefleckten Tiger mit zwanzig Knöpfen verliehen, was als rauschhaftes Zählen von eins bis zwanzig in Szene gesetzt wird, bei dem Zaches sich in der zuteil gewordenen Anerkennung sonnt. Er ist immer noch bemerkenswert hässlich, weiße und nach wie vor rote Fusseln baumeln um sein graues Gesicht, zudem ist er ohne Benehmen und artikuliert sich ausschließlich in Grunzen und Stöhnen. Entsprechend grotesk ist die Verführungsszene mit Zaches als kläffendem Beißer. Und der Kläffer ist der Liebling der Fürsten, was sich auch für den Schwiegervater, den Professor in abstoßend schiefer Maske mit Hang zum Wahn, auszahlt, der aber erstmal im Duett von der Tochter Abschied nimmt: „Ich wünsch’ dir Liebe ohne Leiden“ sichert einmal mehr begeisterte Lacher im Publikum.

Dann ist da noch eine andere Welt jenseits von Ordenshierarchie und Beherrschung der Natur zu ihrer Optimierung, nämlich die der Trolle und Hexereien, der Waldeinsamkeit und Wunder. Unfug, Albernheit und Wunderwesen sollen den Staat verlassen, lediglich der Zauberer Alpanus, ein spitzgesichtiger Pfau, und die grüne, äußerst gütig daherkommende Fee haben es geschafft, sich vor den zweckorientierten Aufklärern und ihrer Polizei zu verstecken. Auch hier bleibt es nicht beim sphärisch-ätherischen Schwelgen vom fabelhaften Wald, beim Träumen von grüner Natur, in der man sich weltvergessen Blumenkränze aufsetzt.

Ein kleines buntes Vögelchen freut sich seines Daseins in der Welt und kann vom aufklärerischen Professor mit Zerstörungswillen nicht zertreten werden. Dann erzählt der aus der Gunst des Fürsten Gefallene die Geschichte in die Stille hinein zu Ende. Die Inszenierung von Samira Lehmann und Stefan Wenzel verliert sich nicht in der Freude am Witz und nimmt doch die Motivik des hoffmannschen Stoffs nicht allzu ernst, versucht schon gar nicht, aktuelle gesellschaftskritische Bezüge herauszukitzeln. Mit bunten Diskokugelprojektionen an den Wänden zu einem schrägen Mix aus elektronischen und Gitarrenklängen endet das mit Heiterkeit und offensichtlichem Spaß am Spiel erzählte Märchen.

 

Premiere 15. Oktober 2015 im Lindenfels Westflügel Leipzig

Koproduktion mit dem Lindenfels Westflügel

Regie: Michael Vogel

Spiel und Musik: Samira Lehmann, Stefan Wenzel

Figuren: Samira Lehmann

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